Brigitte Hutt - IT-Beraterin und Autorin

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Abhängen

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Ich schaffe es nicht. Ich schaffe es nicht.

Daheim steht noch ein Stück Kuchen, auf den habe ich mich echt gefreut. Der ist mir so gelungen wie selten. Der ist mir gelungen. Wenn doch alles gelingen könnte.

Wenn.

Meine Mutter hat immer an mich geglaubt. Oder hat sie nur an sich geglaubt? Sie hat immer gesagt, es ist klar, dass du das schaffst, du bist gut genug. Und sie hat gesagt, wehe, wenn du es nicht schaffst. Einmal, ich glaube, da war ich schon in der Pubertät, da hat sie gesagt, wenn du noch mal eine Fünf nach Hause bringst, dann kannst du was erleben. Oder war das früher? Ich weiß nicht.

Ich weiß nicht mehr. Ich schaffe das nicht.

Mein Bruder hat mich nie in seiner Clique haben wollen. Coole Sachen haben die gemacht. Irre Mofatouren, auf ganz wilden Strecken, auch auf verbotenen Strecken, nachts. Ich kann gut Mofafahren, ich weiß das. Aber sie haben mich nie mitmachen lassen. Auch nicht, wenn sie einfach nur abhängen wollten. Dann waren da auch Mädchen dabei. Aber ich nicht.

Da war dieser Typ in der Clique meines Bruders, der Lars, der hat mich immer so angeschaut. So, dass mein Herz geklopft hat. Aber gesagt hat er nie was. Auch er hat mich nicht mitmachen lassen. Aber er hat nie was gesagt. Nur geschaut.

Ich schaffe es nicht. Ich kann nicht mehr.

Vater hat mir immer vertraut. Aber gesagt hat er auch nichts. Am schönsten war es, wenn wir sonntags zusammen Briefmarken sortiert haben. Das ging ohne viele Worte. Radiomusik, und wir beide am Tisch. Das war schön. Da war ich richtig.

Vater lebt nicht mehr. Und ich?

Mein erster Job war ein Fiasko. Aber ich war noch so dumm damals, ich habe einfach nicht kapiert, wie der Hase läuft. Jetzt bin ich da ein gutes Stück schlauer. Der Job jetzt - der läuft. Der läuft gut, so gut. Aber …

Gar nichts mehr läuft. Nicht vor und nicht zurück. Ich schaffe es einfach nicht.

Michi - ach, Michi. Michi, wo bist du jetzt? Ach, Michi.

Ich wollte doch noch die CD kaufen, für Michi, auch für Michi. Wir haben danach getanzt. I wanna stand with you on a mountain …

Verdammt!!!

Meine Finger werden taub, ich spüre es. Nein, ich spüre sie immer weniger. Noch ein bisschen …

Wie haben wir geübt. Zuerst nur tanzen, dann Klettern. Alles, alles hat mit Michi Spaß gemacht. Ich habe mich so stark gefühlt, so stark wie nie. Bin um die Welt getanzt mit ihm, und ich würde auch auf den Mount Everest klettern mit ihm. I wanna stand with you on a mountain.

Ich wollte es ihm beweisen. Allen wollte ich es beweisen. Dass ich stark bin. Dass ich alles kann, was ich will. Wie meine Mutter gesagt hat.

Wenn ich jetzt umgreife? Dort, die Felsnase. Die sieht so stabil aus. Ich spüre meine Finger kaum noch. Meine Füße haben keinen Halt. Ich muss es versuchen. Sonst - ich habe sonst keine Chance. Ich schaffe das. Tief Luft holen, eine Hand loslassen, was rutscht denn da, was ...

© Brigitte Hutt Februar/März 2016

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