Brigitte Hutt - IT-Beraterin und Autorin

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Jerusalem, Anastasis

Abschied

Sehr geehrter Herr Pfarrer, liebe Gemeinde.

Ich wurde ausersehen, verehrter Herr Pfarrer, zu Ihrem wohlverdienten Abschied in den Ruhestand ein paar Worte zu sagen. Zu viel der Ehre, wehrte ich ab! Wer kann diese Jahre messen, wer kann sie würdigen! Aber ich werde es versuchen.

Wenn ich zurückblicke - wie viel Leben, wie viel Spannung haben Sie in unsere kleine Vorstadtgemeinde gebracht! Sie waren noch keine drei Monate da, da war der Altarraum bereits neu gestaltet, die Aufgaben von Lektor und Mesner neu definiert, die Sonntagsliturgie aus ihrem "So war es immer schon" herausgeholt und frisch geputzt vor unseren erstaunten, mitunter erschrockenen Augen in neuem Glanz zelebriert.

Sehr bald haben Sie uns klar gemacht, worauf es in der Kirche ankommt. Ja, wir haben unsere alte Kirche unter Ihrer kundigen Leitung mit neuen Augen sehen gelernt. Sie haben uns gezeigt, was Heilige Orte sind. Sie haben nicht nur die bisherigen zwei Seitenaltäre besser herausgestellt, nein, einen lang entbehrten dritten Seitenaltar haben Sie auch wiederentdeckt. So beten wir nun inbrünstig nicht mehr nur zu dem einen Gott, nicht mehr nur zur heiligen Maria und unserem Kirchenpatron, nein, auch der heilige Josef, von Ihnen jederzeit zärtlich "Bräutigam der Gottesmutter" genannt, steht nun und für immer in unserem Fokus.

Aber genug der liturgischen Erneuerung, die Sie uns gebracht haben - welch weiser und einfühlender Führer und Leiter waren Sie uns, Ihrer Gemeinde!

Ich erinnere nur an Frau Alberts, die bei Ihnen Zuflucht suchte, weil ihr Mann sie in seiner Trunksucht schlug. Liebreich haben Sie sie angehört, immer wieder, und ihr wiederholt, was der Herr uns gelehrt hat: Auch die andere Wange hinzuhalten. - Leider kann sie heute nicht unter uns sein, da sie seit ihrer Querschnittslähmung das Haus nicht mehr verlassen kann.

Oder meine Nachbarin, Sie erinnern sich? Großen Ärger gab es auf ihrer Arbeitsstelle, Ärger, für den die Modernisten das schreckliche Wort "Mobbing" erfunden haben. Sie, Herr Pfarrer, haben sie reden lassen, ihre Tränen getrocknet, sie unermüdlich darauf hingewiesen, den ersten Schritt zu tun, freundlich auf die Kollegen zuzugehen, deren Worte und Taten mit Güte zu vergelten. Und - das, liebe Gemeinde, das verdient unsere besondere Hochachtung - Sie haben ihr nach dem Selbstmord die christliche Aussegnung nicht verweigert. Und das an Ihrem freien Tag.

Ein Wort auch zu Ihrer stets segensreichen Jugendarbeit. Wir wissen alle, wie anstrengend die Heranwachsenden sein können, wenn sie fragen und zweifeln, wenn sie lachen und den Kopf schütteln, statt schlicht zu glauben. Nimmer müde haben Sie ihnen erklärt, wie Gott die Welt gewollt hat, haben stets gewusst, was unser Herr von ihnen erwartet, und Ihre Schuld ist es gewiss nicht, dass sie alle nach und nach weggeblieben sind. Sie haben sie gewarnt vor den Verführungen des Versuchers, vor Alkohol wie auch vor Geschlechtsverkehr, ja, so eindringlich sind sie gewiss von keinem anderen gemahnt worden. Allein, vergeblich, dieses Päckchen tragen Sie nun schon so lange mit sich herum. Dass es Sie nicht loslässt, sieht man oft, wenn Sie Abend für Abend drüben im Ochsen sitzen, Schoppen für Schoppen leeren und traurig hinüber schauen zum Gymnasium.

Stets haben Sie die Musik geliebt, und unsere Orgel in Schuss zu halten, war Ihnen so manche Kollekte wert. Unter Ihrem sanften Druck wurde so mancher zwar leidenschaftliche, aber nur mittelmäßige Sänger aus dem Kirchenchor hinauskomplimentiert, so dass wir nun zu allen Hochfesten einen kleinen, aber bestens aufgestellten Chor genießen können, der uns Bach, Mozart und Rheinberger zu Gehör bringt, so dass es gar nicht mehr auffällt, dass die Gemeinde schon lange nicht mehr singt.

Als in den jetzigen unruhigen Zeiten Flüchtlinge aus arabischen Ländern mehr und mehr in unserer Heimat auftauchten, viele von ihnen muslimischen Glaubens, auch da haben Sie stets gewusst, worauf es ankam. Stets war den Flüchtlingen eine Fürbitte gewidmet, entweder die klassische Bitte um ihre Bekehrung zum einzig wahren Glauben, oder, weitsichtig wie nur Sie sind, die Bitte für uns, für unsere Gemeinde, dass uns die Last nicht zu groß werde. Wie der Herr Jesus haben Sie gefleht, dass der Kelch an Ihnen und uns vorbeigehen möge - und wie beim Herrn Jesus blieb uns trotzdem das Ärgste nicht erspart: Eine sehr arme, kranke Familie bat um Kirchenasyl. Doch Sie, unser Hirte, wussten auch hier Rat: Mit Leichtigkeit wiesen Sie nach, dass es dafür keinen Platz gab im Kirchenareal: Kirchenraum und Krypta heilige, nur dem Gottesdienst geweihte Räume, Kindergarten, Jugend- und Festräume im Jahreszyklus der Gemeinde voll und ganz eingeplant, die Kellerräume voller Vorräte, Dekorationsmaterial und Messwein, das nur dreistöckige Pfarrhaus gerade ausreichend für Büro, Sprechzimmer und Ihre Wohnung.

Nun wird sie frei, Ihre Wohnung, nun ziehen Sie in den Ruhestand, nun wird Ruhe einkehren, in Ihrem und in unserem Leben. Wieder müssen wir uns neu einrichten, wer weiß, was kommt?

Nehmen Sie unsere besten Wünsche mit, dazu diese Kiste Frankenwein, wir haben, da wir Ihre übergroße Bescheidenheit kennen, den einfachen genommen, und gehen Sie! Gehen Sie in Frieden. Wir jedenfalls lassen Sie in Frieden gehen.


© Brigitte Hutt April 2016

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