Brigitte Hutt - IT-Beraterin und Autorin

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Kinder aus Schwarzafrika

Amelé

Mein Name ist Amelé, und ich bin schwarz. Das wäre mir selbst gar nicht aufgefallen, denn ich bin es nun einmal, immer schon. Wenn ich meine Hände anschaue oder mein Gesicht im Spiegel - so bin ich. Meine Eltern dagegen, die zwei Menschen, die ich Mama und Papa nenne, seit ich sprechen kann, haben helle Haut. Ich dachte als kleines Kind, dass es das eben gibt, hellhäutige und dunkelhäutige Menschen, bunt gemischt, wie es der Zufall will. Oder besser: Ich dachte eigentlich gar nicht darüber nach. Im Kindergarten war noch ein zweites dunkelhäutiges Kind, wenn auch nicht so dunkel wie ich, und es waren Kinder mit allen möglichen Hautfarben von sehr hell bis braun dabei, was meine Vorstellung einer bunten Welt nur bestätigte. Oder besser: Ich musste immer noch nicht darüber nachdenken.

In der Schule wurde es dann schon ein wenig anders. Es gab, je weiter ich in den Klassenstufen vorankam, immer Rivalitäten zwischen einigen Kindern, oft auch zwischen Gruppen von Kindern, und mit der Zeit wurden die Gruppen mit der so genannten "Herkunft" gleichgesetzt. Da gab es die Türken, die Ossis, und es gab mich, die einzige Schwarze. Anfangs war das gut, denn ich war keinem Gruppenkonflikt ausgesetzt, da ich nicht Teil einer Gruppe war. Ich hatte Freundinnen, die hellhäutig waren, hellhäutiger als ich zumindest, und ich musste immer noch nicht viel nachdenken über diese Dinge.

Ich hatte Glück und konnte das Gymnasium besuchen. Auch da war ich die einzige Schwarze in der Klasse, aber es gab zumindest noch zwei Mitschüler, die jeweils ein schwarzes Elternteil aufwiesen. Natürlich wusste ich inzwischen über Hautfarben, Abstammung, Herkunft, ja sogar "Rasse" Bescheid, wusste, dass meine Eltern mich adoptiert hatten, weil die Mutter, die mich geboren hatte, nicht mehr lebte und der Vater unbekannt war. Ich war meinen Eltern dankbar für die Geborgenheit, die sie mir gaben. Das Wort "Rasse" mochte ich eher nicht, es erinnerte mich an Hunde, Katzen und Vögel sowie an "Züchtung", was mir ganz und gar nicht gefiel. Gruppenkonflikte spielten in meinem Gymnasium weniger eine Rolle, und ich begann, die Querelen der Grundschule zu vergessen.

Bis dann der Tag kam, an dem ich mit zwei Freundinnen Freitag gegen Abend in der U-Bahn unterwegs war, nur wir drei, keine Erwachsenen. Wir hatten zu reden, zu lachen, hatten einen netten Einkaufsbummel hinter uns.

"Geht das denn auch ein bisschen leiser?", rief auf einmal eine Stimme mitten in unser Gespräch hinein. Wir blickten auf und verstummten. Die anderen Fahrgäste schauten in ihre Smartphones, Zeitungen oder ins Nichts, aber neben uns stand ein Mann im Alter unserer Eltern und sah uns mit gerunzelter Stirn an. Wir schauten zurück und wussten nicht recht, was wir tun sollten.

"Wir sind hier in Deutschland und nicht auf dem Negerbasar", setzte der Mann seine Rede fort. "Da nimmt man Rücksicht. Da schreit man nicht so herum. Hat euch das keiner beigebracht? Oder versteht ihr kein Deutsch?"

Seine Stimme wurde immer lauter. Wir schauten uns etwas hilflos um, aber keiner der anderen Fahrgäste nahm Notiz von der Szene. Meine Freundin Özlem schluckte und sagte leise: "Kommt, wir müssen aussteigen."

"Dass man auf eine anständige Frage eine anständige Antwort gibt, hat euch auch keiner beigebracht, was? Türkenpack und Negergesocks, ihr habt hier gerade noch gefehlt. Wird immer schlimmer mit euch. Haut bloß wieder ab!"

Mir wurde übel. Ich stand auf und versuchte, an dem Mann vorbeizukommen. Özlem und Maryam taten es mir nach. Aber der Mann wich nicht von der Stelle, und ohne Berührung kamen wir nicht an ihm vorbei.

"Verzeihung", sagte ich. Er grinste. Mir wurde noch übler.

"Wir sprechen Deutsch, und wir sprechen leiser als Sie", setzte ich tapfer hinzu, obwohl mir das Herz im Halse klopfte.

"Auch noch frech werden?", fragte der Mann und schaute sich triumphierend um. Aber auch davon schien niemand Notiz zu nehmen.

Die U-Bahn fuhr jetzt in den nächsten Bahnhof ein, und eine Frau auf der Bank uns gegenüber stand auf und schob den Mann ein wenig beiseite.

"Verzeihung", sagte sie, "bitte lassen Sie mich und die Mädchen aussteigen. Und dann ..."

Sie vervollständigte den Satz nicht. Aber jetzt war Platz genug. Dankbar huschten wir zur Tür und stiegen hinter der Frau aus.

"Danke", sagte Maryam leise, mit Tränen in den Augen.

Die Frau schüttelte den Kopf. "So etwas sollte es gar nicht geben", antwortete sie, unwirsch, unfreundlich. "Ihn nicht, und uns andere auch nicht. So nicht, jedenfalls. Warum mischt sich keiner ein?" Noch einmal schüttelte sie den Kopf, dann ging sie schnell zur Treppe. Wir blieben stehen, warteten auf die nächste U-Bahn und hofften, dass so etwas nicht wieder passieren würde.

Wir standen stumm auf dem Bahnsteig, jede in ihre Gedanken versunken. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass wir an Ähnliches dachten. An die Gesichter der Verkäuferinnen, die uns entweder gar nicht oder in sehr kurzen Sätzen ansprachen ("Das kaufen? Bezahlen?"), an die Bedienung im Café, die drei Mal an die Nebentische ging, bis sie bei uns vorbeikam, und die beim Servieren der Cola sofort die Zahlung einforderte, an die Warteschlangen, wo gern mal jemand anders schneller dran kam als wir - Dinge, die wir immer als Zufall abgetan hatten.

Mein Name ist Amelé, denn ich bin an einem Samstag geboren. In Togo nennt man die Kinder gern passend zu den Wochentagen. Das ist alles, was ich von Togo weiß. Ich bin nie in Togo gewesen. Maryam kann sich an ihr Geburtsland Syrien nicht erinnern, und Özlem war in der Türkei höchstens mal in den Sommerferien. Sie ist auch lieber hier, denn sie spricht nicht so gut türkisch.

Wie soll das weitergehen?

Ich bin Amelé, und ich bin schwarz.

© Brigitte Hutt 2017

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