Brigitte Hutt - IT-Beraterin und Autorin

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Natur hinter Gittern

Natur Schutz Vision

Die Warteschlange vor dem Eingang bewegte sich nur langsam vorwärts, unter grauen Wolken an grauen Betonwänden vorbei. Kinder hüpften aufgeregt von einem Bein aufs andre, Erwachsene reckten die Hälse, um zu sehen, wie weit es noch war. Wer den Eingang erreicht hatte, zahlte seinen Eintritt, Kinder die Hälfte, niemand murrte, niemand fand es überteuert.

Hinter der Kasse kam gleich die nächste Schlange, die vor der Schleuse. Immer nur fünf Personen auf einmal durften eintreten. Mitunter gab es Kindergeheul, wenn sich die automatische Schleusentür zwischen ihnen und ihren Eltern schloss. Aufsichtspersonal lotste, beruhigte, lenkte ab.

In der Schleuse wurde die Luft ausgetauscht. Jede und jeder war erstaunt, wie viel leichter es sich in der reineren Luft atmen ließ, man hatte das inzwischen fast vergessen. Dann noch den klinisch reinen Overall übergezogen, die Haare unter die leichte Haube geschoben, den Audioguide umgehängt, und fertig war die nächste Fünfergruppe für den langen Gang, der einen Vorgeschmack auf die eigentliche Ausstellung, auf die Sensation darstellte.

Links und rechts überdimensional große, gestochen scharfe Fotos, die allein schon den Eintritt wert gewesen waren. Alpenveilchen, rot, weiß, violett. Gärten voll mit Rosen, Dahlien, Hortensien. Obstbäume mit rosig lockenden Pfirsichen, rotwangigen Äpfeln, Sträucher mit dicken Beeren. Balkone, überquellend von Geranien, rot, rosa, weiß. Grün, wohin das Auge schaute. Eltern erklärten ihren Kindern, was immer sie noch von dieser Pracht wussten, den Rest erledigten die Audioguides. In Vitrinen getrocknete Lilien, Orchideen, Fingerhut, Hortensien. Zeugen einer vergangenen Zeit. Zum Anfassen aus hauchfeinem Kunststoff nachgebildete Rosen und Nelken.

Langsam nur schob sich der Besucherstrom vorwärts, ins Allerheiligste. Dort wartete wiederum eine automatische Tür, die stets nur eine Fünfergruppe hindurchließ, für den Blick in den Reinraum mit computerüberwachter Beleuchtung, Belüftung und Befeuchtung, von den Besuchern getrennt durch fünf Zentimeter Panzerglas.

Atemlos standen sie davor, Alte und Junge, und staunten. Sattgrünes Gras bildete ein idyllisches Fleckchen, kein Müll, nur Gras, darum herum ein wenig Moos. Und in der Mitte des Grüns das Prachtstück, das Sehnsuchtsziel von Millionen Besuchern, in freier Natur längst ausgestorben: "Ewig schön" genannt, den Ahnen einst heilig, Symbol für Unschuld und Reinheit, für die Kelten Hüterin des einfachen Volkes, mit vielerlei Heilpotenzial ausgestattet. Das allerletzte lebende Exemplar, Versicherungswert drei Millionen, Realwert unschätzbar - Bellis perennis, das Gänseblümchen.


© Brigitte Hutt, November 2017 Bellis perennis - ewig schön

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