Brigitte Hutt - IT-Beraterin und Autorin

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alle um einen Tisch

(Wohn)Gemeinschaft(serlebnis)

Seit Toms Auszug fiel Sina die Decke auf den Kopf. Außerdem konnte sie die Miete für die Wohnung allein nur mit Mühe aufbringen - was ihr Kopfzerbrechen verursachte, denn sie liebte ihre hübsche Altbauwohnung unterm Dach, ob nun mit oder ohne Tom. Aber die Decke fiel ihr auf den Kopf, der Geldbeutel drohte mit Leere, und sie wusste sich keinen Rat.

"Mitbewohnerin gesucht: WG Amtmannstr. 7, 3. Stock, Tel ..."

Als sie den Zettel beim Bäcker las, spürte sie einen Funken Hoffnung. Wohngemeinschaft, nie allein, oder nur, wenn man selbst es wollte. Einen halben Tag noch wälzte sie den Gedanken in ihrem Kopf, dann rief sie dort an. Ein Besuchstermin war schnell ausgemacht, denn da sie ein regelmäßiges Einkommen hatte, waren die anderen Mieter durchaus an ihr interessiert.

Mit Herzklopfen klingelte sie. Meine Wohnung aufgeben, will ich das wirklich? Mach halblang, Sina, erst mal die Leute und das Zimmer anschauen.

Die Wohnungstür wurde aufgerissen. "Hallo! Du bist sicher Sina! Komm herein."

Die junge Frau trug Rastalocken und einen irre bunten, vermutlich selbstgestrickten Pullover. Und sofort Du? Oh je, das war nicht ganz ihre Welt. Wie wohl die anderen sein würden?

"Ich heiße übrigens Alba. Und hier - komm nur in die Küche, der wichtigste Raum, wie du dir denken kannst - hier sind Steve und Alex. Leute, das ist Sina. Magst du was trinken? Wir müssen uns ja erst mal beschnuppern."

Sina nahm ein Wasser mit Gurkenscheibe - es gibt für alles ein erstes Mal - und musterte die Männer. Auch noch jung, wobei Steve wohl der älteste war. Alex sah recht normal aus, Steve eher ein bisschen flippig. Aber nur ein bisschen. Er ergriff auch als erster das Wort. Steve, hieß er wirklich Steve?

"Hi, Sina. Prima, dass das geklappt hat. Weißt du, wir wollten wieder ein Mädchen, damit wir paritätisch besetzt sind."

Paritätisch besetzt, wie das klang. Was war er? Soziologe? Statistiker? Politiker? Und warum eigentlich paritätisch - war das hier eine Verkuppelungsgeschichte?

"Ähm ... wieso wieder ein Mädchen? Ich meine, warum ist das wichtig?"

"Ach, zwei Jungen gegen mich allein, da werde ich schon mal untergebuttert. Ich bin manchmal einfach zu nett, weißt du?"

"Zu nett, das sind eher wir. Zwei Mädchen gegen zwei Jungs, da werden schon mal die Jungs untergebuttert!"

Alle lachten. Sie schienen sich zu verstehen, ein gutes Team zu bilden. Trotzdem fragte Sina noch einmal nach.

"Ihr seid nicht irgendwie ... miteinander verpartnert, oder so was?"

"Neeiin! Das ist ein No go. Das gibt nur Ärger. Mein Freund, also der hat auch gefragt, ob er hier einziehen kann, aber das haben wir drei nur kurz besprochen und dann abgewinkt. Wohnen ist eines, lieben was anderes."

"Außerdem seid ihr zwei doch noch gar nicht so lange zusammen, wart doch erst mal ab!"

"Tu ich ja. Find ich ja auch."

"Darf ich fragen, was ihr so macht, also beruflich? Dass ich im Finanzamt arbeite, wisst ihr ja schon."

"Erzieherin. Kinder ohne Ende. Macht Spaß, aber nach Feierabend brauche ich da was anderes."

"Ich studiere Jura, und der Stevie hier Informatik. Also, kurz vorm Master. Hat 'ne Menge zu tun."

"Ja. Bin viel hier, weil ich grad meine Arbeit schreibe. Ich hab Gott sei Dank das Zimmer hinten, da stört mich so schnell nichts und niemand."

"Und ... welches wäre mein Zimmer?"

Alba sprang auf. "Richtig! Das musst du ja erst mal anschauen! Wir hatten so lange keinen Wechsel, da haben wir das schon fast vergessen."

"Und warum habt ihr jetzt einen Wechsel?"

"Simone ist nach USA. Mindestens für ein Jahr."

Alba öffnete die Tür neben der Küche. "Voilà!"

Ein schönes Zimmer. Großes Fenster, viel Stellplatz. Improvisierter Schreibtisch, selbstgezimmerte Regale an der Seitenwand. Ein breites Bett. Ein paar ihrer Möbel konnte sie darin unterbringen, und das Bett, ihr und Toms Bett - das war ja vielleicht ganz gut, wenn sie das aufgab. Sie seufzte tief.

"Nicht okay?"

"Doch, doch. Schön. Weißt du, ich hab ja derzeit eine ganze Wohnung, die mir nur zu teuer wird, aber da sind halt Möbel drin, und ..."

"Oh, die Schreibtischplatte liegt nur auf Böcken, das kann alles in die Rumpelkammer. Die Regalbretter auch, wenn du magst. Nur das Bett ..."

"Nein, nein, das Bett ist prima. Wirklich. Doch, das hört sich alles gut an."

"Ich zeig dir schnell das Bad, und dann reden wir noch ein bisschen, ja?"

Eine halbe Stunde später waren alle vier schon fast gute Freunde. Sina spürte, wie die Atmosphäre ihr gut tat, wie die düstere Wolke, die sie seit Toms Auszug immer über und in ihrem Kopf schweben spürte, sich allmählich auflöste. Steve war sehr amüsant, und sein englischer Vorname erklärte sich mit seiner kanadischen Mutter. Alle kamen aus unterschiedlichen Orten und unterschiedlichen Hintergründen, aber alle hatten viele Jahre WG-Erfahrung. Sina fühlte sich plötzlich jung und neugierig. Auch das Du störte sie nicht mehr. Und Gurkenwasser war gar nicht so übel.

Alba sprang auf. Sie schien immer zu springen.

"Leute, ich mache jetzt einen Salat. Für uns alle, ja, Sina? Bist eingeladen. Ich glaube, das wird was mit uns. Mein Freund kommt gleich vorbei, der kann auch mitessen. Salat liebt er, aber nur, wenn es Fleisch dazu gibt."

Das kenne ich auch, dachte Sina und stimmte in das allgemeine Gelächter mit ein. Sie erbot sich, beim Gemüseschneiden zu helfen, so könne sie gleich lernen, was wo aufbewahrt würde. Alex ging los, um zur Feier des Tages, wie er es nannte, Würstchen zu kaufen.

"Damit ein Fleisch da ist." Wieder freundschaftliches Lachen.

Als Alex zurückkam, waren zwei Salatschüsseln schon gefüllt, und Sina schnitt Tomaten.

"Schaut, wen ich vor der Tür getroffen habe. Nun sind wir sogar schon komplett."

Alba quietschte entzückt und flog auf den Flur. Sina drehte sich um und sah, wie sie jemandem an den Hals sprang. Über Albas Schulter hinweg erspähte sie zwei höchst vertraute Augen, die jetzt entsetzt aufgerissen waren. Tom.

Langsam legte sie das Messer auf die Arbeitsfläche, nahm ihre Umhängetasche und schlüpfte unter den verständnislosen Blicken ihrer beinahe-Mitbewohner zur Wohnungstür hinaus.

Auf der Straße atmete sie tief durch. Eine eigene Wohnung ist doch durch nichts zu ersetzen. Mal sehen, ob ich nicht noch was dazuverdienen kann. Oder - ich mache selbst eine WG daraus. Mit einer anderen Frau. Unpäritätisch, unamourös.


© Brigitte Hutt 2021

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