Brigitte Hutt - IT-Beraterin und Autorin

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Der vorletzte Tag. Conny atmete tief durch. War es wirklich richtig gewesen, die Stelle zu wechseln? Nein, jetzt war es zu spät noch mal darüber nachzudenken. Sie hatte es wieder und wieder überdacht - andere Firma, anderer Arbeitsbereich, weniger Verantwortung, vor allem weniger Rufbereitschaft, natürlich auch weniger Geld, aber es würde reichen. Dafür endlich geregelte Freizeit, durchschlafen ohne über die ungelösten Probleme zu grübeln, und vielleicht könnte sie mal wieder ihren Freundeskreis pflegen. Oder was davon noch übrig war.

Vor drei Jahren war sie noch so stolz auf diesen Job gewesen. Sie, eine Frau, in dieser Männersphäre, und sie hatte Ahnung, oh ja, sie war auf dem Laufenden, ihr machte keiner so schnell etwas vor. Sie entwarf und entwickelte, vernetzte und testete, und meistens lief alles zu höchster Zufriedenheit. Dass das nicht immer der Fall war, lag in der Natur der Sache, oder besser, in der Natur der Technik. Ausfälle gab es immer wieder. Dumm nur, dass die Anlagen 24 Stunden pro Tag zu laufen hatten und sie mitunter auch nachts oder am Wochenende einsatzbereit sein musste, und das hatte ihr zu schaffen gemacht. Nein, eigentlich war es nicht einmal das - es waren die hämischen Bemerkungen der Kollegen gewesen, von denen "Na, wieder um den Schönheitsschlaf gebracht?" noch die harmloseste war. Alles nur Neid auf deine Tüchtigkeit, hatte Barbara, ihre beste Freundin noch aus Schulzeiten, sie getröstet, aber auf Dauer hatte ihr das auch nicht mehr genügt, und Barbara hatte sie seit Monaten nicht mehr gesehen. Alle waren es leid, dass Conny dauernd absagen musste, oder dass sie zu Geselligkeiten zu spät kam oder gar vorzeitig weggerufen wurde.

Sie hatte auch den Hebel an der anderen Seite angesetzt, hatte die Firmenleitung immer wieder darauf hingewiesen, dass die IT unterbesetzt war. Die Vorträge, die sie daraufhin zu hören bekam, konnte sie inzwischen auswendig. Auch ihre zwei - natürlich männlichen - Kollegen, die sich mit ihr die Rufbereitschaft teilten, hatten sie nicht unterstützt. Paul war Meister darin, sich beim Sport irgendetwas zu verstauchen, und Uli - der konnte in diesen emanzipierten Zeiten immer seine Familie als Schutzschild benutzen; Schulferien, ein krankes Kind oder was auch immer. "Du bist doch unabhängig", sagte er dann mit diesem gehetztem Blick, in dem seine Verantwortungsbereitschaft, sein Familiensinn durchschimmerte. Und Conny fiel immer wieder darauf hinein. Also, hatte sie schließlich resigniert gedacht, habe ich wohl den falschen Job gewählt, ich passe da nicht hinein. Nun noch den morgigen Tag, dann zwei Wochen Resturlaub, Schluss. Neuer Job, neues Leben. Schreibtischtätigkeit. Sie zwang sich, nicht das Attribut langweilig hinzuzufügen. Ruhig, angenehm geregelt, darum ging es doch.

Das Bereitschaftstelefon meldete sich, Conny nahm den Anruf entgegen. Es war der Empfang, das Netz war wieder mal nicht erreichbar. Oder, wie die Kollegin es aufgeregt formulierte: "Mein Internet ist weg!"

Conny stellte die üblichen Routinefragen und hatte bald einen Verdacht. Sie ging hinüber in den Empfangsraum, in dem gerade Möbel neu arrangiert wurden, um einen zusätzlichen Arbeitsplatz vorzubereiten. Sie bückte sich unter die Empfangstheke. Na klar. Kabel gezogen. Vom Router zum Strom. Und nicht nur das: Das Kabel war gezogen worden, um stattdessen eine Lampe einzustecken.

Als sie die Lampe aus- und den Router einsteckte, daraufhin mit dem Lampenkabel zwei Meter weiter zur nächsten Steckdose ging, folgten ihr schon die wütenden Stimmen der Möbelrücker, denen ihr Licht abging. Es waren Kollegen aus der Produktion, die vermutlich nicht die geringste Lust auf diese Zusatztätigkeit hatten und ihren Frust nur zu gern an Conny ausließen. Sie steckte die Lampe ein, drehte sich zu den Kollegen um und strahlte sie an: "Klitzekleine Störung", sagte sie freundlich, "schon behoben." Dann drehte sie sich einmal um sich selbst, zwinkerte und nickte allen Anwesenden zu und ging zum Treppenhaus. Die erstaunten Blicke, die ihr folgten, fühlte sie mehr als dass sie sie sah. Der vorletzte Tag.

Gegen Feierabend, als sie das Bereitschaftstelefon gerade auf Paul umleiten wollte - er möge gesund und heil bleiben - klingelte es noch einmal. Der Nummer nach die Geschäftsleitung, na klar.

"Frau Wessling, bitte, wo ist denn der Beamer vom Besprechungsraum? Wir brauchen ihn morgen ganz früh!"

Gut, dann auch das noch. Sie beruhigte die Geschäftsleitung beziehungsweise Assistentin Frau Baur und prüfte die Einsatzliste der mobilen Geräte, in der natürlich eingetragen war, dass der Beamer im Besprechungsraum brav in seinem Schrank stände. Eine Treppe hinauf, dann links und noch mal links - hatte sie jemals gezählt, wie viele Kilometer sie pro Tag unterwegs war? Und das ganz ohne Sportunfall! Sie musste schmunzeln.

Die Tür zum Besprechungsraum stand offen, der Beamerschrank auch, das sah sie auf den ersten Blick. Aha, also hatten sie da schon nachgeschaut. Sie trat ein und ließ nachdenklich ihre Blicke durch den Raum schweifen. Ostereiersuchen war ein Dreck gegen das Auffinden von falsch aufgeräumten Mobilgeräten. Conny musste über den Vergleich nur noch mehr schmunzeln. Frau Baur stand am so genannten Runden Tisch, der aus eckigen Elementen nach Bedarf arrangiert werden konnte, und bereitete Unterlagen vor. Erstaunt sah sie auf.

"Frau Wessling? Sie sind ja so guter Laune? Haben Sie den Beamer schon entdeckt?"

"Nein. Aber das - der - wird sich finden."

Conny hatte eine Eingebung und öffnete die Tür zum "Kabuff", eigentlich Heimat der elektrischen Sicherungen, in dem Klemmbretter, Ersatzkabel, Schachteln und Getränkekästen deponiert wurden. Sie hob einen Stapel Plastikablagen und - da stand er, verpackt in seinem Transportköfferchen. Schweigend trug sie ihn zum Tisch, packte ihn aus, schloss ihn an, erspähte das Tablet des Chefs unter Frau Baurs Papierstapel und fragte: "Soll er mit dem Tablet laufen oder bringen Sie noch einen Laptop?"

Frau Baur drehte sich um und musterte sprachlos den Beamer.

"Da - ist er ja", sagte sie schließlich lahm. Dann riss sie sich zusammen und ergänzte in ihrem üblichen geschäftigen Ton: "Der Chef bringt einen Stick mit für die Präsentation. Wir brauchen einen von den freien Laptops. Können Sie das Ganze morgen früh fertig haben? Vor acht?"

Vor acht. Sicher doch. Seit fünfzehn Minuten war Feierabend. Feierabend des vorletzten Tags. Ja! "Wird gemacht", sagte Conny freundlich, und: "Sie schließen hinter sich ab, nicht wahr?"

Am nächsten Morgen war sie um halb acht im Raum, schloss Laptop und Beamer zusammen und machte einen Test. Gegen zehn vor acht öffnete sich die Tür, und eine erstaunlich große Menge an Kolleginnen und Kollegen strömte herein. Conny beobachtete erstaunt, dass die meisten sich an den Wänden aufstellten, dass sie sichtlich alle guter Laune waren, was in diesem Raum, soweit sie wusste, selten genug der Fall war, und dann kam auch noch Frau Baur geradewegs auf Conny zu mit einem Riesenblumenstrauß. Conny trat automatisch zur Seite und ließ ihre Blicke umherschweifen auf der Suche nach einer Vase.

"Liebe Frau Wessling", Frau Baurs Stimme zog Connys Aufmerksamkeit zurück. Der Blumenstrauß schwebte direkt vor ihrer Nase.

"Das hier ist der Dank. Unser aller Dank. Für Ihre tolle, ja, ich möchte fast sagen, aufopfernde Arbeit in den letzten drei Jahren. Wir werden Sie vermissen."

Applaus erscholl ringsum. Conny war sprachlos. Gerührt. Also war sie doch nicht so ganz falsch am Platz gewesen, wurde sie doch anerkannt. Wenn sie das früher bemerkt hätte …

Ein paar Kollegen kamen herüber und drückten ihr die Hand, fanden persönliche Worte. Da erklang, laut und befehlsgewohnt, die Stimme des Chefs von der Tür her.

"Was ist denn hier los, wenn ich fragen darf? Bitte, alle verlassen den Raum, die jetzt nicht zur Besprechung geladen sind. Die Geschäftspartner sind schon im Haus. Stehen die Getränke bereit?"

Weg war sie, die gute Stimmung, nicht nur bei Conny. Frau Baur eilte ins Kabuff, und Conny ging hinaus, um ihren Arbeitsplatz aufzusuchen. Der letzte Tag, dachte sie, ja.

© Brigitte Hutt zum SysAdmin Day Juli 2020

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