Brigitte Hutt - IT-Beraterin und Autorin

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Schlösser ewiger Liebe

Pont des Arts*: Beschlossen

Vorsichtig tastete Gigi sich die Böschung hinunter. Gestrüpp, Geröll - fester Boden war kaum zu sehen. Sie biss die Zähne zusammen. Als ihr rechter Fuß ausrutschte und sie in Schräglage geriet, griff sie hastig nach dem Zaun, der am Ende des Brückengeländers die Spaziergänger vor dem Absturz bewahren sollte. Als sie ihr Gleichgewicht zurückgewonnen hatte, hob sie den Fuß und betrachtete missmutig die Bescherung. Offensichtlich war sie in einen Hundetreffpunkt geraten. Die ersten zwei Häufchen hatte sie noch gesehen und umgangen. Sie seufzte und blickte umher. Noch ein gutes Stück Abhang lag vor ihr. Irgendwo dort bei dem Heckenrosenstrauch, dort musste sie suchen.

Sie ließ den Zaun wieder los und probierte ein paar weitere Schritte, immer schön schräg zum Hang. Zwischendrin warf sie prüfende Blicke hinauf zur Brücke. Die Vorhängeschlösser blinkten in der Sonne, rote, grüne, goldene, jedes eine Verheißung ewiger Liebe. Ewig, lächerlich.

Sie stapfte und stolperte weiter; jetzt waren es nur noch etwa drei Meter bis zur Heckenrose. Rosen, auch so ein Liebessymbol. Damals hatte Sigi ihr eine einzelne gelbe Rose überreicht, daran gebunden das goldene Schloss, und sie waren begeistert hierher zur Brücke gezogen, hatten gesungen "I will always love you" und "you'll never walk alone", hatten gelacht und sich geküsst, hatten ewig gebraucht, bis sie auf der Brücke ankamen. Dann gab es noch endlose Diskussionen, welche Stelle die richtige wäre. Schließlich hatten sie eine Stange gefunden, die noch leer war.

"Das ist unser Pont des Arts, hier begründen wir unsere Liebe", hatte Sigi gesagt, und Gigi hatte ergänzt: "Hier beschließen wir sie, unsere Liebe."

Gemeinsam hatten sie das Schloss befestigt, sich dann mit dem Rücken zum Fluss aufgestellt, bis drei gezählt und den Schlüssel über ihre Köpfe hinweg versenkt. Mit Schwung. Als kein Aufklatschen zu hören war, hatten sie sich erstaunt umgedreht. Böschung, zu viel Böschung, und mittendrin der Heckenrosenstrauch.

"Ist doch schön", hatte Sigi, der ewige Optimist, gemeint, "unser Schlüssel ruht unter Rosen."

"Wilde Rosen", hatte Gigi nachdenklich gesagt, "die im Herbst Juckpulver hervorbringen."

Sigi hatte nur gelacht und sie geküsst. Dann waren sie eng umschlungen zu seiner Wohnung geschlendert, die nicht weit vom Fluss lag.

Endlich. Aufatmend ergriff sie ein paar Zweige des Strauches, die aber so biegsam waren, dass sie nachgaben und Gigi beinahe gefallen wäre. Nein, nicht noch mehr Hundehäufchen, das brauchte sie wirklich nicht.

Als sie letzte Woche nach all den Gerüchten und Ausreden die zwei mit eigenen Augen gesehen hatte, ausgerechnet im Café de Paris, da hatte ihr Entschluss festgestanden.

Sie ließ sich vorsichtig in die Hocke gleiten und tastete mit den Fingern zwischen Gestrüpp und Geröll. In ihren Augen Tränen, in ihrer Fantasie Sigi und Laura, das Luder, Hand in Hand, Blick in Blick.

Gigi war dreckig, sie blutete, ihre Haare und Kleider waren zerzaust, als sie endlich ein Stück Metall in den Fingern hielt. Der Schlüssel. Sie steckte ihn in den Briefumschlag in ihrer Tasche. Hastig tastete, rutschte, kletterte sie die Böschung empor und suchte die Stelle auf der Brücke, an der sie ihr Schloss befestigt hatten. Den Heckenrosenstrauch in Wurfrichtung.

Kein Gigi&Sigi-Schloss, solange sie auch suchte, wo sie auch suchte.

Irgendwann richtete sie sich stöhnend auf und strich sich die Haare zurecht, was sie nur noch wilder aussehen ließ. Sie versuchte sich zu konzentrieren. Eigentlich gab es nur eine Möglichkeit: Sigi, der Schuft, hatte den Zweitschlüssel behalten und das Schloss schon entfernt. Und damit den Gigi&Sigi-Pakt gelöst. Ohne ein Wort. Womöglich hing schon irgendwo ein Laura&Sigi-Schloss.

Eine Weile nagte sie an ihrer Unterlippe, dann zog sie den Umschlag aus der Tasche und den Schlüssel daraus hervor, kratzte mit ihm sorgfältig ihren rechten Schuh ab, schob ihn zurück in seine Hülle und machte sich auf den Weg zu Sigis Wohnhaus. Die Briefkästen waren außen.


* Der Pont des Arts in Paris ist berühmt dafür, über und über mit "Liebesschlössern" behängt zu sein.


© Brigitte Hutt 2018

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