Brigitte Hutt - IT-Beraterin und Autorin

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Obschtler

Die Brandner Kathi

... war überaus alt, so alt, dass sie manchmal fast vergaß, wie viele Jahre sie schon auf Erden verbracht hatte. Ihre Kinder, Enkel, sogar Urenkel lebten überall auf der Welt verstreut, schrieben ihr Briefe zu Weihnachten und zum Geburtstag, und vor allem daran merkte sie, dass schon wieder ein Jahr vergangen war. Immer schwerer fiel es ihr, die Briefe zu entziffern, und immer mehr Namen ihrer Nachkommen vergaß sie. Genau genommen hatte sie auch gar keine Lust mehr, sich alles zu merken. Aber sie war alt und wurde älter, und so war es nun einmal. Manchmal schaute sie in den Spiegel, sah all die Runzeln und Flecken und murmelte etwas wie: "Hast mich gar vergessen, Herrgott?"

Nein, vergessen hatte er sie nicht, der Herrgott, aber sein unermüdlicher Bote, der Tod, machte einen Bogen um sie, und das war so gekommen.

Noch gar nicht alt war sie gewesen, als der Hubert, ihr Mann, mit dem Motorrad einen Purzelbaum geschossen hatte und davon nicht mehr aufstand. Sehr traurig war sie gewesen, und am liebsten wäre sie dem Hubert gefolgt. Nur, wie fing man das an? Aber das Glück stand ihr bei und zeigte ihr eines Tages im Abenddämmerlicht, wie eine dürre, dunkel gekleidete Gestalt vorüberschlurfte und sich anschickte, bei ihrer Nachbarin, die schon lange krank im Bett lag, an die Tür zu klopfen.

"Boandlkramer? Bist du's?", hatte die Kathi ausgerufen, und die Gestalt war zusammengezuckt. "Komm, komm zu mir herein", hatte sie gesagt und den Boandlkramer am Ärmel gezupft und gezogen.

"Das geht aber nicht", hatte er gemurmelt, "ich muss doch die Gustl bringen. Das ist mein Auftrag."

"Musst du die Gustl bringen, oder musst du einfach jemanden bringen?"

"Nun, zur Gustl bin ich geschickt worden, also muss ich wohl die Gustl bringen."

"Wie wäre es, wenn du stattdessen mich bringst? Ich hätt grad Lust dazu!"

Der Boandlkramer schüttelte den Kopf, wild, als hätte er Wasser in den Ohren.

"Da wärst du grad die erste, die dazu sogar Lust hätte."

"Na, und? Bin ich's halt! Nur einen letzten Wunsch hätte ich. Weil, na, bisserl fürchten tu ich mich schon. Ist halt doch irgendwie ganz neu, weißt schon."

"Das ist es für alle. Und was wäre dein Wunsch?"

"Na, ich möcht' einmal, nur einmal, mich so richtig zünftig ... besaufen. Da steht noch der gute 76er im Keller, noch fünf oder sechs Flaschen. Machst mit?"

Der Boandlkramer schwieg verwirrt. Noch bevor er sich zu einer Antwort durchgerungen hatte, war die Kathi in den Keller gelaufen, hatte die ersten Flaschen von dem guten Jahrgang geholt, dazu noch selbstgebrannten Obstler.

"Hier, probier' mal", sagte sie und goss ihm ein, Wein in ein großes Glas, Obstler in ein kleines. Sich selbst vergaß sie natürlich auch nicht.

Der Boandlkramer probierte das kleine Glas und schmatzte. "Wirklich gut", sagte er vergnügt, "wirklich gut."

"Den Wein musst schon auch probieren", mahnte die Kathi und goss sich schon das zweite Glas damit voll. Das erste hatte sie in großen Schlucken geleert, vor dem zweiten saß sie nun und träumte, träumte vom Hubert und wie er ihr anno 76 den Hof gemacht hatte, in diesem wunderbaren Sommer. Saß und träumte.

Der Boandlkramer nippte am Wein, schüttelte sich und goss rasch Obstler hinterher.

"Du, ich muss nun aber doch bald wieder ... also jemanden bringen. Holen. Bringen."

Er schüttelte sich erneut und ließ es zu, dass die Kathi ihm nachschenkte.

"Sag, Boandlkramer, warst das auch du, der den Hubert, also, was von ihm übrig war, da, nach dem Motorradsturz ..."

"Freilich. Wer sonst. Da geht's dann immer schnell. Die Unfallopfer freuen sich direkt, wenn sie angekommen sind."

"Der Hubert auch?"

"Sicher."

"Und ... hat er mich vermisst? Wenigstens ein ganz klein bisschen?"

"Ach, Kathi." Der Boandlkramer lachte verlegen und goss noch einen Obstler in sich hinein. "Das weiß doch ich nicht. Auf jeden Fall geht's ihm jetzt gut."

Die Kathi schob ihrem Gast ihr noch immer volles Obstlerglas hin und trank einen Schluck Wein.

"Ach, ja. Nimmst du dann auch wirklich mich mit, Kramer?"

"Ähm, nun. Ja. Wenn du das so willst. Wird schon passen. Irgendwann muss ja ein jeder. Und eine jede." Er leerte auch Kathis Glas und bekam prompt den Schluckauf.

"Da hilft nur trinken", sagte sie und füllte sein Glas auf. "Wart, im Keller ist noch mehr. Und die restlichen Weinflaschen."

Als die zweite Flasche Obstler leer war, hatte der Boandlkramer seinen Kopf auf den Tisch gelegt und zu schnarchen angefangen. Die Kathi hatte ihm zugesehen, halb belustigt, halb traurig. Dann hatte sie noch ein Glas vom guten 76er geleert und war zu Bett gegangen. Am nächsten Morgen war der Boandlkramer verschwunden gewesen. Und seither hatte er einen großen Bogen um das Haus der Kathi gemacht, die nun alt und immer älter wurde.


© Brigitte Hutt 2022

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