Brigitte Hutt - IT-Beraterin und Autorin

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Der Brandner Kevin und das ewig' Leben *

Kevin war Computerfreak. Tag und Nacht am PC, produktiv oder in endlosen Games versunken. Seine Ernährung bestand im Wesentlichen aus Pizza und Keksen, hinuntergespült mit Bier. Sein Bewegungsprogramm fand demgemäß vor allem zwischen PC und WC statt. Eines Tages forderte dieses Leben seinen Tribut.

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Es begann damit, dass es an der Wohnungstür klingelte, was Kevin wieder einmal nicht hörte. Er wartete gerade nicht auf den Pizza- oder Bierboten, also konzentrierte er sich lieber auf seinen Computermonitor. Aber das Klingeln wiederholte sich, wurde intensiver, schließlich unüberhörbar. Kevin seufzte, schlurfte den Flur entlang und öffnete. Draußen stand ein hagerer, dunkel gekleideter Mann, der eine Kapuze über den Kopf gezogen hatte.

"Ich kaufe nichts."

"Hab auch nichts zu verkaufen, mein Sohn."

Der Mann kicherte.

"Was wollen Sie dann?"

"Na, dich. Du bist dran."

"??"

Der Mann zog eine Art Smartwatch aus den Tiefen seines Kapuzenshirts und hielt sie Kevin hin. Die Anzeige blinkte heftig. Noch bevor Kevin sie entziffern konnte, steckte der Mann das Gerät wieder ein.

"Deine Lebensuhr. Abgelaufen. Aus."

"Och nee", meinte Kevin, ziemlich verunsichert, "ach, hm, wollen Sie nicht erst mal reinkommen?"

Er öffnete die Tür weit und machte eine einladende Geste. Der Mann kicherte erneut und ging mit beinahe hüpfenden Schritten an Kevin vorbei. Im kombinierten Wohn-, Schlaf- und Arbeitszimmer blieb er stehen und sah sich um. Kevin tat es ihm gleich und bemerkte, vielleicht zum ersten Mal, die Stapel von leeren Pizzakartons und Kekspackungen, auch die an der Wand aufgereihten, ebenfalls leeren, Bierflaschen, kurz: das Chaos seines Lebens. Des Lebens, das er liebte.

Er bot dem seltsamen Gast seinen Schreibtischstuhl an und setzte sich auf einen Hocker, nachdem er die schmuddeligen Hosen, die darauf gelegen hatten, verschämt hinten hinunter geschoben hatte.

"Ähm, vielleicht ein Bier?"

Der Mann schüttelte empört den Kopf. "Niemals. Ich trinke keinen Alkohol. Das habe ich vor vielen Jahren aufgegeben." Er kicherte wieder, was Kevin allmählich auf die Nerven ging. "Ich schlage vor, du denkst mal kurz deinen letzten Gedanken, und dann kommst du mit."

Der Mann hatte sich bequem hingesetzt und ließ nun den Stuhl kreisen. Dabei pfiff er leise und unmelodisch vor sich hin.

"Aber ... wieso denn? Ich bin doch noch nicht mal 40!"

"Na ja, schau dich doch mal an."

Kevin schaute an sich herunter. Jeans, Hemd, alles nicht ganz frisch, und der Bauch quoll über den Gürtel. Kevin steckte hastig das Hemd in die Hose.

"Na und? Ich sehe immer gleich aus."

"Eben. Und nicht gesund. Und das ist jetzt das Aus."

"Sind Sie denn überhaupt autorisiert dazu? Mich hier abzuholen?"

Kevin wurde plötzlich wütend.

Jetzt kicherte der Mann nicht mehr, er lachte. Dann antwortete er: "Na, und ob. Boandlkramer mein Name. Verstehst du?"

"Wie ... was?"

"Knochenhändler. Sensenmann. Tod, wenn dir das lieber ist. Und der, wenn kommt, ist autorisiert. Immer. Grundsätzlich."

"Woher soll ich das denn auch wissen?"

"Musst du nicht, Sohn, komm einfach. Letzten Wunsch?"

Kevin schüttelte den Kopf, fuhr sich durch die Haare, dann nickte er heftig.

"Ich muss noch eine Website fertig machen! Der Kunde wartet drauf!"

Er sprang so schnell auf, wie es seine Figur zuließ, und quetschte sich neben seinen Gast vor den Monitor. Unter einigen Papieren kramte er die Maus hervor und klickte damit herum. Das Bild einer Südseelandschaft erschien, einladend, sonnig, man meinte, den Wind in den Palmen zu hören. Während Kevin ein wenig klickte und ein wenig tippte, schaute der seltsame Gast mit offenem Mund zu.

"Ist ja irre. Wirklich! So was machst du?"

Kevin nickte und klickte und tippte eifrig weiter.

"Und dieser ... Kunde, der braucht das wofür?"

"Na, Werbung. Damit seine Kunden Lust haben, bei ihm eine Reise zu buchen."

Kevin wies auf den Namenszug 'aloha-tours.com'.

"Reise, hmm. Aha."

Kevin klickte und tippte. Text erschien in der Südseelandschaft. Kevin trat einen Schritt zurück und prüfte den Eindruck.

"Ähm ... sag mal ..."

Kevin tippte noch ein wenig, klickte erneut und prüfte erneut.

"Du, hör mal."

"Ja?"

"Wenn ... also, wenn nun meine Kunden auch Lust bekommen sollen, mit mir eine ... na ja, diese Reise zu machen ... Also, die meisten wollen ja nicht. Wie du."

"Ja?"

"Also, kannst du mir so was auch machen? So eine … wie hast du es genannt?"

"Website. Bist schon ein bisschen von gestern, oder?"

"Also, kannst du?"

Kevin richtete sich auf und sah den Gast erstaunt an. "Du meinst, so etwas wie 'Boandlkramer.net'?"

"J-ja, so etwas." Der Gast wies mit einem langen, dürren Finger auf den Bildschirm. "Ja. Für mich. Meinetwegen Boandlkramer-dot-nett. Damit die Menschen wissen, dass ich eigentlich doch nett bin. Ja, das klingt gut."

Kevin grinste. "Okay, und was gibst du mir dafür?"

Der Boandlkramer wand sich und stöhnte. "Nein, nein, bitte nicht. Auf so etwas hab ich mich schon mal eingelassen, das lief gar nicht gut."

"Na ja, aber das ist mein Job. Zahlen musst du schon."

"Hmm. Wieviel willst du?"

Kevin überlegte. "Drei Jahre, denke ich mal."

"So wenig? Du bist echt bescheiden."

Jetzt war es an Kevin zu kichern. "In drei Jahren braucht es einen Relaunch ..."

"Einen was?"

"Relaunch. Überarbeitung. Muss sein. Und der kostet wieder drei Jahre. Und so weiter."

Der Boandlkramer runzelte seine ohnehin faltige Stirn und überlegte. Warf kritische Blicke auf Kevin, auf dessen Bauch, auf das Zimmer, dann einen begehrlichen auf den Monitor.

"Also gut. Abgemacht."

© Brigitte Hutt 2020


* Eine Fortsetzung der Erzählung von Franz von Kobell bzw. des Theaterstücks "Der Brandner Kaspar und das ewig' Leben" von Franz von Kobell & Kurt Wilhelm


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