Brigitte Hutt - IT-Beraterin und Autorin

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Sonnenblume Bronica

Leben über den Tod hinaus

Bronica, Ukraine. Ein weitläufiges Waldgebiet, eine Straße führt hindurch. Irgendwo am Waldrand ein Denkmal für die siegreiche Rote Armee, die einst diese Gegend von ihren Besatzern befreit hat. Ihre Besatzer, das waren die Deutschen. Hinter dem Denkmal, geht man ein Stück weit hinein in den schönen, friedlichen Wald, sieht man einen Teil dessen, was die Besatzer angerichtet haben: Massengräber für Tausende von Juden, die hierher getrieben, abgeschossen und verscharrt wurden. Was für ein Kontrast: der grüne, immer gleiche Wald, die ungerührten und unberührbaren Bäume, trostreich in ihrer Beständigkeit, darunter die Steinplatten, die die Gräber dieser unsäglich vielen Menschen bedecken, die nichts anderes getan haben, als - Menschen zu sein. Schuster, Lehrer, Händler, Brillenträger, Gesunde, Kranke, Tagediebe, Betrüger, rechtschaffene Leute, in jedem Fall aber: jüdische Menschen. Das allein war ihr Ver-gehen, dem sie aber auf keine Weise hätten ent-gehen können.

Sie wurden zusammengetrieben wie Vieh, abgeschlachtet wie Vieh, verscharrt wie Ungeziefer.

Geht man zurück zur Straße, blendet die Sonne. Unglaublich: Das Leben geht weiter, über den Tod dieser Menschen hinaus. Das Leben ist auch hier wieder friedlicher geworden, normaler. Aber täuschen wir uns nicht: Irgendwo in unserer Welt, in der Welt der Menschen, werden andere zusammengetrieben und zu Dingen gezwungen, die sie nicht wollen, sei es im Leben oder zum Sterben. Irgendwo ist immer Bronica. Und immer geht es irgendwie weiter.

Ist das gut oder ist das entsetzlich? Für die Toten, oder besser für deren Hinterbliebenen, ist es zuerst einmal entsetzlich. Für uns alle ist es gut, dass immer irgendwoher die Kraft kommt, es weitergehen zu lassen. Sonst gäbe es uns nicht mehr, denn derartige Schrecken hat es immer gegeben, wenn auch vielleicht selten so perfektioniert wie in den Jahren des Zweiten Weltkrieges.

Am Straßenrand des Waldes von Bronica wachsen Sonnenblumen, die im September ihre Pracht offenbaren, im Sonnenlicht leuchten und Leben verheißen. Eine davon habe ich mitgenommen, als Fotografie. Sie begleitet mich seit über zehn Jahren und sagt mir, dass es Schrecken gibt, unerwartet, unglaublich, vielleicht auch eines Tages für mich. Aber zugleich sagt sie mir, dass es Leben gibt, unerwartet, unüberwindlich, Leben über den Tod hinaus, und dass das ein Trost ist.



© Brigitte Hutt 2021

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