Brigitte Hutt - IT-Beraterin und Autorin

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Narr - Veitshöchheim Fastnachtsverband

Eselsbrücke

Er erwachte mit einem dumpfen Gefühl im Kopf, ein Klopfen, dazu eine Art Nebel. Unwillig kniff er die Augen zusammen und riss sie wieder auf, dann stieg er vorsichtig, leise aus dem Bett, um die schlafende Frau nicht zu wecken.

Was für eine Nacht! Viel zu kurz, zumindest was den Schlaf anging. Er hatte heute noch viel zu erledigen. Aber die Frau war so attraktiv gewesen, da hatte er den Champagner bestellt, heftig geflirtet und schließlich das Zimmer gebucht und sie mitgenommen. Es hatte sich gelohnt, soweit seine Erinnerung ihn nicht trog. Sie hatte alle Verheißungen eingelöst. Es war eine Nacht der wilden Spiele gewesen, mit Lachen und Seufzen, eingebettet in Champagner. Misstrauisch sah er zu den zwei Flaschen auf dem Glastischchen hinüber. Waren die beide leer? Es war zu vermuten. Er schlüpfte ins Bad und schloss leise die Tür. Die Dusche löste den Nebel in seinem Kopf einigermaßen, und als er, eingehüllt in den Hotelbademantel, zurück ins Zimmer kam, konnte er schon den Tag planen. Das Köfferchen packen, die Unterlagen aus dem Safe nehmen, das Zimmer bezahlen - die Zeit würde reichen, er würde pünktlich zur Besprechung kommen.

Die Frau - verflixt, er hatte doch tatsächlich ihren Namen vergessen - war inzwischen auch aufgewacht, gähnte, räkelte sich im Bett- was im Tageslicht nicht mehr so verlockend aussah wie in der Nacht.

Er drehte sich um und griff nach seinen Kleidern. Während er sich anzog, sagte er über die Schulter hinweg: "Ich muss mich beeilen. Du kannst in Ruhe frühstücken, es wird alles bezahlt."

Sie murmelte irgendetwas und ging ins Bad. Er band seine Krawatte, blickte im Zimmer umher, ob er auch nichts vergessen hatte, und bückte sich zu dem kleinen Safe, in den er, sorgfältig wie immer, die Geschäftsunterlagen gelegt hatte. Sie hatte noch darüber gelacht, hatte ihn gefragt, ob er ihr misstraue, sie hatten über Sicherheit und Safes gewitzelt, aber er war seiner Gewohnheit treu geblieben. Um ihr zu beweisen, dass er ihr nicht misstraute, hatte er ihr sogar seine übliche Kombination verraten, sein Geburtsdatum, die einzige Zahlenkombination, die er sich problemlos merken konnte. Nun tippte er das Datum in die Safe-Tastatur ein, drückte den Open-Knopf und zog am Griff. Nichts. Er runzelte die Stirn, tippte erneut, drückte, zog. Nichts. Verflixtes Gerät. Was klemmte denn da?

Er stand auf, streckte sich und versuchte, sich an den Moment zu erinnern, in dem er den Safe programmiert hatte. Hatte er etwas übersehen? 11.01.71. Elfnulleinssiebeneins, seine Finger konnten das doch schon im Schlaf. Sollte er, was ihm vor Jahren einmal passiert war, als er ausgerechnet an seinem Geburtstag ein Hotel genommen hatte, das aktuelle Jahr statt seines Geburtsjahres eingetippt haben? Er bückte sich erneut und ergänzte die Elfnulleins mit dem aktuellen Jahr. Drückte, zog. Nichts.

Er schaute auf seine Armbanduhr. So langsam sollte er auschecken, nur machte das ja ohne die Unterlagen keinen Sinn. Konzentrier dich, so viel hast du denn auch nicht getrunken. Sie hat schließlich gut mitgehalten. Er versuchte es erneut, meinte, ein leises Klicken gehört zu haben, zog mit klopfendem Herzen den Griff an der Safe-Tür - nichts.

"Was machst du denn da?"

Er fuhr herum. Fast hatte er die Anwesenheit der Frau vergessen.

"Ich ... ähm ... muss noch meine Unterlagen aus diesem verflixten Safe holen, aber er scheint zu klemmen. Blödes Stück. Ich muss wohl … jemanden holen mit Hauptschlüssel, oder Code, oder was immer. Mist, verdammter."

"Aber Schatz, nicht fluchen. Das macht hässlich." Sie lachte ihr lockendes Lachen, das ihm in der Nacht so besonderes gefallen hatte. Jetzt fand er es eher unpassend.

"Na, dann mach doch du mal! Wofür hab ich dich denn ins Vertrauen gezogen!"

Wütend trat er beiseite und wies auf den Safe. Sie trug noch den Bademantel, vorn konnte man sehr tief blicken. Ein leichter Schauder überlief ihn. Konzentrier dich, konzentrier dich. Erneut bückte er sich zum Safe, tippte seine Elfnulleinssiebeneins, drückte, zog. Nichts.

Da spürte er ihre Hand auf seiner Schulter.

"Schatz, beruhige dich. Heute Nacht ging es doch problemlos. Erinnerst du dich nicht? Du hast mich die Kombination eintippen lassen, hast das Ding geöffnet und geschlossen und ich konnte es wieder öffnen. Und dabei haben wir die Ziffern in Reime gepackt. Ach, das war mal richtig lustig."

Sie bückte sich nun ihrerseits zum Safe und sang leise vor sich hin: "Eins und eins, meins und deins, eins und eins, jedem seins, siebzig drauf, Tür geht auf. Weißt du noch?"

"Siebzig?"

"Natürlich einundsiebzig, ich bin doch nicht blöd. Aber wir haben so gekämpft, bis der Reim fertig war."

Sie lachte, strahlend, girrend, verlockend. Sie tippte, drückte, es surrte, sie zog. Die Tür war auf. Sie richtete sich auf und strahlte ihn an. "Bitte sehr. Keine Panik."

Sprachlos schaute er von ihr zum Safe und wieder zu ihr. Sprachlos zog er die blaue Mappe heraus und wog sie unschlüssig in der Hand. Schließlich gab er sich einen Ruck, räusperte sich und fragte:

"Was ... hast du getippt?"

"Na, was schon! Eins und eins, meins und deins, eins und eins, jedem seins, siebzig drauf, Tür geht auf."

"Hör mit dem Blödsinn auf!", knurrte er. "Was hast du getippt?"

"Elf elf einundsiebzig, wie du es mir vorgegeben hast, du Karnevalswitzbold", gab sie ebenso wütend zurück. "Und jetzt hau ab zu deinem blöden Termin, ich will frühstücken."

© Brigitte Hutt 2021

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