Brigitte Hutt - IT-Beraterin und Autorin

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ESCAPE=Flucht

Gute Nacht

Heribert Fischer saß an seinem Schreibtisch und starrte auf den Monitor. Mitunter trommelte er auf die Tischplatte, wischte ein Stäubchen von der Tastatur, schob ein paar Konzeptblätter hin und her.

Früher, dachte er, also zum Beispiel zu Goethes Zeiten, oder auch noch Grass' oder Bölls Zeiten, da hätte man auf dem Bleistift genagt. Das war zumindest etwas Handfestes, da konnte man zerstören, sich abreagieren, ohne dass Wertvolles kaputt ging. Heute dagegen ...

Er bekämpfte die Versuchung, nicht zum ersten Mal, den Locher auf den Monitor zu werfen, denn ein neuer war im augenblicklichen Budget nicht drin. Ein neuer Locher möglicherweise, aber der würde die Attacke ohne Zweifel überleben.

Sein letzter Roman verkaufte sich ganz gut, aber was hieß das heutzutage schon, davon leben konnte man nicht. Die Kolumne in der "Landespostille" musste er wöchentlich füllen, das war schon Herausforderung genug, denn wenn die die Leser nicht mehr begeisterte, warteten schon mindestens zwei Nachfolger auf die Chance, hier zu veröffentlichen. Und so sehr er die Pratinek schätzte, so sehr verabscheute er den Mehring, der auch noch sein alter Studienkollege war, und, ehrlich gesagt, gönnte er beiden den Triumph nicht. Also blieb nur, Ideen zu haben und die in brillante Sätze zu gießen. Letzteres gelang ihm eigentlich immer, oder doch fast immer, aber die Ideen - ja, die Ideen. Die Kolumne zu füllen wurde ihm von Woche zu Woche mühsamer, und an eine tragfähige Romanidee war gar nicht zu denken.

In Filmen hieß das Schreibblockade. Und der verzweifelte Autor beging dann ein Verbrechen. Das wäre eine Story gewesen, wenn - ja, wenn das nicht schon so ausgelutscht wäre. Oder zumindest, wenn ihm dazu ein neuer, jungfräulicher Plot eingefallen wäre. Aber das passierte nicht.

Der Monitor wurde dunkel. Energiesparmodus. Der Bildschirm sparte Energie, aber anstatt dass er die dann ihm, seinem Meister und Besitzer, zugutekommen lassen würde, nützte das höchstens seiner Stromrechnung, und auch da machte es sich nicht wirklich bemerkbar. Heribert Fischer hätte nun den abgekauten Bleistift wütend in die Ecke geworfen, wenn es ihn denn gäbe. Warum eigentlich kaute er nicht an einem? Da lagen doch genug.

Egal. Er erhob sich seufzend und schenkte sich einen Cognac ein. Die Flasche mit dem richtig guten war auch schon fast leer. Egal. Er schob ein Käsebrot hinterher, schaute die Spätnachrichten an und ging dann ins Bett, so müde, als hätte er einen Marathonlauf hinter sich.

Als er aufwachte und auf die Leuchtziffern seines Weckers schaute, war es gerade mal zwei Uhr durch. Was hatte ihn geweckt? Vermutlich nur sein unruhig nach einer Idee suchendes Hirn. -- Hirn. Sucht. Organe, die sich verselbständigen, die den Menschen steuern, so richtig mit Bewusstsein, die ihn manipulieren, mit ihm sprechen ...

In seinem Kopf arbeitete es fieberhaft. Ein surrealistischer Plot nahm Gestalt an. So etwas hatte er immer schon schreiben wollen. Der Mensch müsste auf Befehl seiner Organe - nicht des Hirns, das war zu einfach, Leber oder Magen oder so sollte das dann schon sein - etwas tun, was das anerzogene Gewissen nie zuließ, und damit hatte man den Konflikt. Das trug. Da war eine Menge drin. Möglichkeiten, Pfade, Komplikationen huschten vor seinem inneren Auge vorbei, sein Herz schlug heftig. Ein Plot, endlich ein Plot. Ein wenig noch dran basteln, dann ein paar Stunden schlafen, dann ausgeruht an den Computer. Man müsste ... und dann ... und dann noch etwas Sex hinzufügen ... ein Verbrechen ... oder doch nicht ... was Zwischenmenschliches ...

Die Müllabfuhr weckte ihn mit dem üblichen Gerumpel auf der Straße. Zum ersten Mal seit Tagen, ach was, seit Wochen sprang er elastisch aus dem Bett, ging mit federnden Schritten ins Bad, summte beim Rasieren, genoss das Gurgeln beim Zähneputzen, ließ sich das Duschwasser wie erlöst auf den Nacken prasseln. Jeans an, Hemd an, und los.

Er weckte den Computer, seinen treuen Kumpel, befahl ein neues, leeres Dokument auf den Monitor, und -

Was war noch mal die Idee gewesen?



© Brigitte Hutt August 2019

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