Brigitte Hutt - IT-Beraterin und Autorin

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Hier geht der Kühlschrank ins Internet ...

Haushalt 4.0

Wieder mal eine Menge Geld ausgegeben ...

Aber in diesen Zeiten der Beschränkungen und Verordnungen war es dringend notwendig.

Es fing damit an, dass der Küchenherd immer mehr Fehlfunktionen aufwies und zuletzt nicht mehr heiß genug wurde, um der täglichen Nutzung auch nur annähernd etwas wie den Namen "Kochen" zuzuweisen. Also recherchierte ich erst einmal gründlich im Internet, was es da an Neuem, Zeitgemäßem gab. Als erstes lernte ich, dass ohne die so genannte "intelligente" Computersteuerung gar nichts mehr angeboten wurde, und als zweites, dass es nur noch "Lieferung bis an die Bordsteinkante" gab. Klar, Ansteckungsgefahr, verstand ich ja, machte das Projekt allerdings nicht einfacher. Also umso gründlicher recherchieren, damit sich kein Fehlkauf einschlich.

Beim Vergleichen der Herstellerangaben ergab es sich fast automatisch, dass der eine oder andere Blick auch auf andere Haushaltsgroßgeräte fiel - immerhin war der gute alte, verlässliche Kühlschrank auch schon über zehn Jahre alt.

Donnerwetter, das Staunen nahm kein Ende. Der Küchenherd des 21. Jahrhunderts berechnet nach einem elektronischen "Blick" auf Kartoffeln oder Gemüse die notwendige Wassermenge und führt sie selbst zu. Durch in den Töpfen - da mussten dann eben auch neue her - eingebaute Fühler wurde der Garungsstand festgestellt und die Hitze reguliert oder ein melodisches "Fertig"-Signal ausgesandt. Brat- und Backgut wurde nach Gewicht und Bestandteilen analysiert und zum gewünschten Zeitpunkt braun und duftend fertig gestellt. Doch der Clou erschloss sich erst, wenn man den dazu passenden Kühlschrank orderte - der bestellte per WLAN und Internet die geeigneten Lebensmittel (denn mit allen wurde auch der neuzeitlichste Herd noch nicht vollautomatisch fertig), die fand man auf ein verabredetes Klingelsignal vor der Haustür vor, natürlich fertig zur Verarbeitung vorbereitet, so dass man nur noch entscheiden musste, was wann auf den Herd oder besser, vor sein elektronisches Auge kam. Komfort schlechthin, und Ausgangsbeschränkungen waren plötzlich kein Thema mehr. Klar war das Ganze nicht billig, aber es gab einen Bonus: Bei Bestellung des ganzen Pakets wurde 15 Prozent Rabatt gewährt auf die modernste Waschmaschine mit Waschmitteleinfüllautomatik, Schonwaschgangerkennung und Bügelfreitrocknerfunktion. Nicht lange gefackelt, so ein Schnäppchen kam nie wieder. Und das Hineinhieven und Anschließen, wofür ich meinen Schwager gewann, lohnte sich dann wenigstens. Die alten Geräte, die er mit freundlichen "Zu verschenken"-Schildern draußen abstellte, waren dann auch binnen zwei Tagen weg.

Arm, aber stolz stand ich dann zwischen meinen neuen Geräten, programmierte den Kühlschrank auf meine Lieblingsspeisen und füllte die neue Waschmaschine mit den angefallenen verschwitzten Hemden. Soviel konnte ich für meinen Schwager, der doch ein wenig neiderfüllt geschaut hatte, schon mal tun.

Die Wäsche war gewaschen und getrocknet, ganz fabelhaft, der Reis simmerte auf dem Herd, der Kühlschrank summte fast unhörbar - es war ein Traum.

Als ich euphorisch dann gleich die Bettwäsche auch noch waschen wollte, fiel mein Blick auf etwas Rotes im Bediendisplay:

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Nein, ich habe doch erst ein einziges Programm ausprobiert. So geht es nicht. Ich füllte Bettwäsche ein, wählte das Programm, drückte auf den einladend grün gehaltenen Startknopf und ging in die Küche, aus der ich soeben das melodische Fertig-Signal vernommen hatte.

Hmmm - wie das duftete! Das Essen schmeckte vorzüglich, obwohl die Kinder meckerten, dass die Abwandlungen, die wir uns in den letzten Jahren gemeinsam ausgedacht hatten, fehlten. Man muss mit der Zeit gehen, liebe Kinder, und ob da nun eine Zutat mehr oder weniger dran ist - Hauptsache, es schmeckt, oder? Als kleinen Trost versprach ich ihnen Milchreis, den sie von klein auf geliebt hatten.

Also Geschirr zurück in die Küche - verflixt - sobald ich wieder flüssiger war, musste auch ein ins System passender Geschirrspüler her, und vielleicht noch ein Saugroboter? Aber eines nach dem anderen.

Ich prüfte meine Milchvorräte - es reichte gerade, denn bei der Bestellung fürs Mittagessen hatte ich natürlich noch nicht an den Milchreis gedacht. Reis habe ich immer genug auf Vorrat. Obwohl - ich musste einprogrammieren, dass der Kühlschrank auch an solche Bestellungen zu denken hatte; da musste ich wohl noch einmal die Bedienungsanleitung studieren. Ich berührte sanft die Bedienkonsole des Herdes, um im Menü nach Milchreis zu suchen. Aber statt des Menüs leuchtete auf:

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Nein, ach, nein, so geht es nicht, mein guter Herd. Erst arbeiten, dann belohnt werden. Ich drückte und wischte, aber die Schrift blieb, und in mir stieg Wut auf.

Um mich abzuregen, schaute ich nach der Waschmaschine, ein ganz winziges ungutes Gefühl im Bauch.

Und - es bewahrheitete sich:

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Die Bettwäsche wartete. Auf meine Bewertung. Ich knirschte mit den Zähnen und ging ins Internet, um die Bedienungsanleitungsdatenbank des Herstellers zu konsultieren. Die war, was mich ein wenig beruhigte, wirklich gut sortiert und kundenfreundlich aufgebaut, und schon nach fünf, sechs Auswahlfragen hatte ich den richtigen Artikel gefunden: "Zeitsteuerung der Bewertungsfunktion".

Da hieß es, die Bewertungsfunktion sei zweimal aufschiebbar, aber nur, wenn man mit einem feinen Draht in einem kleinen unauffälligen Loch auf der Seite des Gerätes einen Kontakt berührte und auslöste. Auf der Seite. Bei einem Einbaugerät. Na ja, wenigstens nicht auf der Rückseite.

Ich suchte und fand die Kontakte, unterstützt von meinen Kindern, für die das wohl eher ein Abenteuer war. Den geeigneten Draht brachten auch die Kinder herbei - erst später fand ich heraus, dass er aus der nicht mehr funktionierenden Fernsteuerung eines letztjährigen Weihnachtsgeschenks stammte.

Die Waschmaschine startete den Wasserzulauf und bewegte meine Bettwäsche sorgfältig hin und her, der Herd erwärmte die Milch. Wann eigentlich würde der Kühlschrank um Bewertung bitten?

Noch einmal konsultierte ich die Bedienungsanleitungsdatenbank. Da fand ich zu dieser Frage erstaunlicherweise keine Antwort. Nun, dann würde eben auch das ein Abenteuer werden. Ich wollte die Sitzung schon beenden, als mein Blick auf einen kleingedruckten Absatz fiel:

Wie Sie Ihrem Kaufvertrag bereits entnehmen konnten: Wenn Sie versuchen, die Bewertungsfunktion ein drittes Mal aufzuschieben, verlieren Sie die Garantie.

Und dann? Dann werde ich vor dem nächsten Kochen die Kinder nach Feuersteinen schicken. Pure adventure.


© Brigitte Hutt 2021

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