Brigitte Hutt - IT-Beraterin und Autorin

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Heilige Bücher

Heilige Bücher
Gedanken einer Christin*,
die mit Muslimen und Juden im Dialog bleiben will

Was können uns heilige Bücher sagen? Ist die Wahrheit irgendwo unverrückbar niedergeschrieben?

Am Anfang vieler Religionen steht eine Offenbarung, die zunächst einmal mündlich weitergegeben wird. Aber bei aller Sorgfalt ist die Weitergabe doch auch immer davon abhängig, was der eine Mensch sagt und was der andere versteht. Jede Niederschrift einer Offenbarung ist ebenso eine Interpretation, eine der möglichen Fixierungen eines als wichtig betrachteten Teils der mündlichen Überlieferung. Das gilt für Judentum, Christentum und Islam in gleicher Weise. Auch wenn die Väter von ganzem Herzen daran geglaubt haben, Gott habe ihnen die Worte eingegeben - waren sie doch immer nur Menschen, die sie dann aufgeschrieben haben. Und Menschen sind eben fehlbar.

Jede Niederschrift interpretiert also das Überlieferte, und jede Wiedergabe oder Rezitation einer Niederschrift tut es erneut, durch Auswahl oder Betonung, durch den Rahmen, in dem sie stattfindet, durch das Wesen desjenigen, der die Inhalte wiedergibt. Noch viel mehr natürlich durch Übertragung in eine andere Sprache, und dazu gehört schon die Übertragung alter Texte in heutige Sprache. Damit ist unweigerlich auch das Heilige, die heiligen Wahrheiten, im Wandel.

Sollen wir sie deshalb aufgeben, unsere heiligen Traditionen, Wahrheiten, Bücher? Können wir nicht daran arbeiten, sie immer wieder neu in unsere Welt zu übertragen, zu "übersetzen"? Weil es anders gar nicht geht, weil sie uns anders gar nichts sagen können? Aber immer mit dem Wissen, dass eine jede Niederschrift, eine jede Wiedergabe oder Weitergabe immer zugleich eine Interpretation und damit ein Wandel ist, und mit der Folge, dass wir sie nie, wirklich nie, ganz verstehen werden und nie, wirklich nie, im Besitz einer absoluten Wahrheit sein werden. Die Suche danach jedoch wird nie aufhören, gleich welcher Religion wir sind, das ist die Lebensaufgabe aller Gläubigen.

Zugleich sollten wir skeptisch mit denen verfahren, die uns verkünden, dass sie im Besitz der ultimativen Wahrheit sind, ob sie sich nun Vertreter einer Kirche, eines Lehrhauses, einer Bewegung oder ähnlich nennen. Wenn jemand oder eine Institution behauptet, er/sie wisse, was die absolute Wahrheit ist, also behauptet, dass er/sie die nicht mehr suchen muss, dann setzt er/sie sich mit Gott gleich - und das ist der absolute Widerspruch zum Monotheismus in Judentum, Christentum und Islam. Niemand ist Gott gleich, wir können ihn nur suchen. Niemand darf behaupten, die Wahrheit zu haben, oder er/sie setzt sich damit in Widerspruch zu der Religion, die er/sie vertritt, zu vertreten behauptet.

Und wenn wir nun auf dem falschen Weg suchen? Wer hilft uns?

Gott allein weiß, was wir tun, ob wir aufrichtig suchen, und darauf sollten wir vertrauen, eine andere Antwort haben wir nicht. Man sieht nur mit dem Herzen gut, sagt der Dichter Saint-Exupéry. Wissen können wir gar nichts, nur glauben und vertrauen. Das Leben an sich ist ein Risiko, und die Religion kann uns mehr als Vertrauen auf eine höhere Kraft, auf jemanden, den wir nicht kennen, der aber mit uns ist, auch nicht geben. Aber das ist viel!


* Übrigens, für alle Mitmenschen "atheistischen Glaubens" (das ist ein Zitat, und um der Urheberin Ehre zu erweisen, nenne ich sie nicht): Die Aussagen zu Interpretation und Wahrheit gelten nicht nur in gleicher Weise für Buddha, sondern auch für Goethe, Marx, Shakespeare …



© Brigitte Hutt 2017

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