Brigitte Hutt - IT-Beraterin und Autorin

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Liebe in diesen Zeiten

Als nur noch 30 Tage zu absolvieren waren, habe ich jeden einzelnen gezählt. Habe meine Fächer aufgeräumt, meinen Lieblingskolleginnen kleine Geschenke gemacht, über den Abteilungsleiter tatsächlich lachen können, wenn er wieder mal alles schneller haben wollte - fühlte einfach nur Vorfreude; jetzt würden andere Zeiten anbrechen.

Reisen wollte ich, mit Freunden wandern, Karten spielen, ins Theater gehen. Das Abonnement war schon bestellt. Viel Zeit mit Linus und Klara verbringen, mindestens einmal die Woche. Ach, so viele Dinge gab es, die nur auf den Ruhestand warteten.

Keine zwei Wochen waren mir vergönnt, dann kamen die Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen. Keine Enkelkinder, keine Treffen, und das alles zu meinem Schutz. Wofür Schutz, bitte? War das noch ein Leben? Ich fasste mich in Geduld und las all die Bücher, die auch nur auf diese Zeit gewartet hatten. Aber in meinem Kopf war stets so viel anderes: die Sorge um alte Freunde, die Sorge um die Zukunft, die täglichen Infektionszahlen. Die vertane Zeit. Die Leere.

Dann stand sie eines Tages vor der Tür. Weiß mit grauen Flecken, ein Ohr schwarz. Sie stand da, als ich den Müll hinausbringen wollte, schaute mich an mit ihren grünen Augen, mit diesem gelassenen Blick, musterte mich von oben bis unten, huschte an mir vorbei in die Wohnung, sprang auf das Sofa und rollte sich zusammen.

Als ich vom Müllhäuschen zurückkam, stand sie vor dem Kühlschrank und maunzte. Aufgeregt kramte ich in meinem Gedächtnis, womit man Katzen füttern durfte und womit nicht. Wie hätten jetzt Linus und Klara sich gefreut! Ich schob den Gedanken beiseite und fing an, mich um sie zu kümmern, besorgte Napf, Futter, Katzenstreu. Der Einfachheit halber nannte ich sie Cora, und sie schien darauf zu hören, zumindest, wenn ich sie zum Fressen rief. Abends saßen wir zusammen auf dem Sofa, eng aneinander gekuschelt, und sahen fern, hörten Musik, lasen ein Buch. Ich las ihr lustige oder aufregende Stellen vor, und sie hörte aufmerksam zu. Tagsüber schlief sie viel, am liebsten auf dem Sofa, oder, bei schönem Wetter, auf der Balkonbank. Dort saßen wir dann nebeneinander und ließen uns von der Frühlingssonne wärmen. Bei schlechtem Wetter spielten wir im Flur mit dem Stecken, den Linus vor Jahren hier deponiert hatte. Abends ließ ich sie hinaus, morgens wartete sie schon vor der Tür. Meine Tage hatten wieder Struktur, mein Leben wieder einen Plan. In mir breitete sich Zufriedenheit aus.

Eines Morgens wachte ich mit einem dumpfen Gefühl in Brust, Kopf und Hals auf. Ich schüttelte es ab, kochte Tee und stellte Cora ihren Napf hin. Doch mein Befinden wurde auch untertags nicht besser, und in der nächsten Nacht fing ich an zu husten. Erkältungen hat es immer gegeben. Ich versuchte mich zu beruhigen, aber ich spürte, dass ich fieberte. Es wurde schwierig, mit zitternden Fingern die Dose Katzenfutter zu öffnen. Cora wartete geduldig, tröstete mich mit leisem Maunzen.

Was sollte werden, wenn die letzte Dose Katzenfutter geleert war? Ich traute mich nicht mehr aus der Wohnung. An diesem Abend vergaß ich, Cora hinauszulassen. Sie nahm es anscheinend nicht übel, rollte sich im Bett zu meinen Füßen zusammen und gab mir das Gefühl angenehmer Wärme.

Am nächsten Morgen glühte ich dermaßen, dass ich die Bettdecke mitsamt Cora auf den Fußboden schleuderte. Sie sprang erschrocken fauchend beiseite, und ich versuchte, den nächsten Hustenanfall in den Griff zu bekommen. Dann tastete ich mich langsam, zitternd ins Bad. Nach einer, wie mir schien, unendlich langen Zeit, in der mich etliche Hustenanfälle aufhielten und um Atem ringen ließen, schleppte ich mich in die Küche und wollte den Wasserkocher füllen. Ich zitterte so sehr, dass er mir aus der Hand fiel. Cora beobachtete mich aufmerksam, maunzte zart. Cora füttern. Ich öffnete die Schranktür, holte die angebrochene Dose heraus und füllte sie um in den Napf. Die Brocken, die mir daneben fielen, holte sie sich sofort. Ich schaffte es nicht, den Napf auf den Boden zu stellen, aber Cora sprang auf die Arbeitsfläche und frühstückte dort. Erschöpft ließ ich mich auf einen Stuhl fallen und schloss die Augen. Was nun?

Ein erneuter Hustenanfall schüttelte mich. Auf meinem Schoß spürte ich etwas Warmes, Weiches. Cora, liebe Cora. Ich streichelte und liebkoste sie eine Weile, drückte sie an mich, und sie ließ es sich gefallen. Dann schob ich sie auf den Boden, schleppte mich zur Wohnungstür und öffnete sie weit.

Lauf, Cora. Lauf. Hier zu bleiben bringt dir nur Unglück. Wir schauten einander in die Augen. Sie rührte sich nicht von der Stelle. Ich wies hinaus zur Treppe. Sie folgte meiner Hand mit ihrem Blick, rührte sich aber weiterhin nicht. Ich nahm den Stecken aus dem Schirmständer und versuchte sie hinaus zu dirigieren. Sie wich geschickt aus. Beim nächsten Hustenanfall ließ ich ungewollt den Stecken fallen. Er traf Cora auf den Rücken, die fauchte und aus der Wohnung sprang. Ich warf die Tür zu und ließ mich an der Wand hinunter auf den Boden gleiten, hustend, nach Atem ringend, den Tränen freien Lauf lassend.

© Brigitte Hutt 29. März 2020

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