Brigitte Hutt - IT-Beraterin und Autorin

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Minarett und Kirchturm

Interview mit einem Fremden

"Jonas! Jonas, hier ist die Telefonnummer. Du musst das Interview mit diesem ... ähm ... Migranten noch heute durchführen. Bis Redaktionsschluss muss der Artikel stehen."

"Ach nein! Wieder mal arg knapp. Wie soll denn da Qualität entstehen?"

Andrea hob hilflos die Hände und verschwand. Jonas las die Telefonnummer auf dem etwas ramponierten Zettel. Auch noch mobil. Da würde wieder jemand über Verschwendung lamentieren. Na gut, wenn der Chef es so wollte. Er wählte und wartete.

"Ja! Schön, dass du anrufst!"

Jonas runzelte die Stirn. Meldete man sich so im Jemen oder wo der Typ herkam? Na, zumindest sprach er ein klares Deutsch. Fast sächsisch eingefärbt, fand Jonas.

"Hallo. Mein Name ist Jonas Wechsler vom ‚Kurier'. Sie haben ja den Anruf wohl schon erwartet, die Kollegin hat Sie ja vorbereitet. Können wir gleich loslegen? Auf mich wartet der Redaktionsschluss. Und auf Sie vermutlich das Gebet."

Ein kurzes Zögern am anderen Ende der Leitung. Dann ein vorsichtiges, nach Frage klingendes "Jaaa?".

"Gut. Zunächst mal ... im Abdruck nehmen wir dann natürlich einen fiktiven Namen. Wie wäre Mansour?"

Ein kleines Lachen am anderen Ende der Leitung. "Warum nicht? Heißt doch so was wie Sieger, oder? Gefällt mir."

Jonas tippte den Namen in seinen PC.

"Wie lange sind Sie denn schon in Deutschland? Ich meine, Sie sind ja nicht mit der Welle 2015 gekommen."

"Ähm ... seit ... 27 Jahren."

Irgendwie klang der Typ amüsiert. Aber das würde es nur einfacher machen. 27 Jahre? Das erklärte das gute Deutsch.

"Und Sie sind, hat mir die Kollegin gesagt, religiös."

Wieder ein sanftes Lachen. "Kann man so sagen."

"Sie wissen, es geht uns um die Alltagsbewältigung der Menschen, also Ihre und die Ihrer Glaubensgenossen. Wir möchten für gute Nachbarschaft werben. Wie ist denn die Durchmischung in Ihrer Wohngegend?"

"Durchmischung? Na ja, etwa die Hälfte der Nachbarn ist weiblich, schätze ich. Und etliche davon alleinstehend. Und nicht mehr ganz jung."

Jonas schüttelte irritiert den Kopf. Ironie war hier nicht am Platz, fand er.

"Ich meine natürlich die Durchmischung in migrantischer und religiöser Hinsicht", sagte er eine Spur schärfer als geplant.

Am anderen Ende der Leitung ein Seufzer. "Migrantisch? Nettes Wort. Hier lebt so ziemlich alles, was Sie sich vorstellen können. Mehrheitlich Deutsch, denke ich. Aber wissen Sie, in punkto Religion ist das schwierig abzuschätzen. Die wenigsten gehen in die Kirche, der Sonntag gehört eher dem Rasenmähen und dem Familienausflug. Freitags in die Moschee gehen fast mehr Menschen als sonntags in die beiden Kirchen zusammen, also ich meine die evangelische und die katholische. Die liegen ja nah beieinander, da sieht man das schon."

"Und Sie gehen regelmäßig?"

Wieder dieses Lachen! "Kann man so sagen."

"Kommen Sie denn auch mal ins Gespräch? Also mit den Christen. Werden Sie von denen angesprochen? Oder sprechen Sie sie an?"

"Beides." Das Lachen war unverkennbar in der Stimme. "Das gehört zu meinen Gepflogenheiten. Und zu meinem Beruf."

"Ach ja, Sie haben ja diesen Kiosk."

"K-Kiosk, hm."

"Kommt denn das Gespräch auch mal auf das Thema Religion? Also zum Beispiel an Freitagen."

"Auf Religion kommt es meistens nur, wenn die Zeitungsschlagzeilen das nahelegen. Päpstliche Verlautbarungen. Oder auf der anderen Seite Attentate. Islamismus. Sie wissen schon. Das bewegt die Gemüter."

Was zum Henker war denn daran so amüsant? Jonas hätte am liebsten aufgelegt. Er riss sich zusammen.

"Und werden Sie dann ... sagen wir mal: angegriffen?"

"Ich? Nein, die Menschen hier kennen meine Einstellung. Die schwierigsten Gespräche sind immer die mit den bekennenden Atheisten. Die wissen immer genau, was richtig und was falsch ist. Sagen sie wenigstens. Da ist das Argumentieren immer eine Gradwanderung."

"Sie versuchen also, dagegenzuhalten?"

"Nun ja, wenn die Argumente der Gesprächspartner_innen", der Knacklaut war unüberhörbar, also das Gendern hatte er auch schon drauf, "ganz und gar unreflektiert kommen, dann frage ich schon mal nach. Was sie genau meinen, ob sie das aus eigener Erfahrung wissen, so etwa."

"Sie üben also so etwas wie Deeskalation?"

"Gott ist mit den Sanftmütigen."

"Sehr schöner Grundsatz. Das sagen also auch Sie."

"Wie bitte?"

"Verzeihung, ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten. Eine konkretere Frage. Wie ist das mit den religiösen Feiertagen? Haben Sie die Möglichkeit, da arbeitsfrei zu nehmen?"

"Nein, in der Regel nicht."

"Haben Sie es versucht?"

"Ach wissen Sie, dann hätte ich mir einen anderen Beruf suchen müssen."

"Hatten Sie denn eine Wahl? Also, hatten Sie Bildungschancen?"

"Aber ich bitte Sie. Immerhin habe ich Theologie studiert. Und ganz freiwillig."

"Sie haben ... was? Wo?"

"Na, in Berlin."

"Islamische Theologie?"

"Nein, evangelische."

"Aber sind Sie denn nicht ..."

"Ich bin Seelsorger hier in der Markusgemeinde. Und der Freund Ihrer Kollegin Andrea. Und nun wünsche ich Ihnen einen guten Tag - wie Sie schon sagten: Auf mich wartet das Gebet."


© Brigitte Hutt 2021

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