Brigitte Hutt - IT-Beraterin und Autorin

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Arbeitsplatz

Kantinengeplauder

Anne nahm sich einen Salat und ein knusprig paniertes Schnitzel und schob ihr Tablett weiter. Heute war nicht der Tag des Verzichtens. In der Abteilungsversammlung waren die Anforderungen für das neue Quartal besprochen worden, und die Ziele waren mehr als sportlich, kaum zu schaffen. Vorbei an der Kasse spähte sie nach einem Tisch aus, an dem sie in netter Gesellschaft essen konnte. Ach ja, dort neben der Säule, da saß Dani, und ganz allein, das passte.

Anne steuerte Danis Tisch an, die ihr freundlich entgegenlächelte und auf den Stuhl ihr gegenüber wies. Mit einem tiefen Seufzer ließ Anne sich nieder.

"Was ist los?", erkundigte Dani sich teilnahmsvoll.

"Die Quartalsziele, die sind los. Und kaum einzufangen", vertraute Anne ihr an. "Du sitzt ja im Controlling, aber wir? Wir müssen Verträge heranschaffen, dass es nur so kracht. Wir müssen die Kunden quasi überreden, abzuschließen. Uff."

Anne schnitt sich erst einmal ein ordentliches Stück Fleisch ab und kaute genüsslich. Wenigstens die Kantine war noch in Ordnung. Dani nahm einen Schluck Cola und meinte nachdenklich: "Es ist ja nicht nur deine Abteilung, die neue Ziele hat. Die anderen müssen auch ran."

"Sicher", antwortete Anne, "aber wir Vertriebler sind die an der Front. Und Dr. Engler - Dr. Engstirn nennt Bruno ihn mitunter", Anne kicherte, "der hat für alle solche Namen! Also der Dr. Engler ist unerbittlich. Ich habe keine Ahnung, wie ich die Ziele erfüllen soll, und Bruno geht es auch nicht besser. Im Gegenteil, der redet schon offen von Aufstand."

"Aufstand?"

"Na ja, nicht direkt. Aber er will protestieren, will zum Betriebsrat, weil das wirklich nicht zu schaffen ist. Nicht in der Zeit, die uns zur Verfügung steht. Außer wir greifen zu unfreundlichen Mitteln den Kunden gegenüber. Aber kann die Firma das wollen?"

Dani hob abweisend eine Hand. "Ich weiß nicht, ob die Firma das will. Ich bin nur für die Zahlen zuständig. Und die sagen eindeutig, dass wir was tun müssen. Wir alle."

"Tun wir ja auch! Keiner will, dass die Firma pleitegeht. Aber wir sollen ja den Kunden gegenüber auch einen guten Eindruck machen!"

"Das schafft ihr doch. Macht ihr doch immer. Der Vertrieb ist unser Zugpferd."

"Danke. Allerdings wird auch bei uns immer mal von Einsparungen geredet. Wie soll das gehen?"

"Nun, es gibt immer Mittel und Wege, denke ich. Und nur die Besten können wir brauchen." Dani schob ihr Besteck zusammen.

"Die Besten?", fragte Anne. "Die besten Mittel oder ..."

"Die besten Mitarbeiter", entgegnete Dani, stand auf, winkte und brachte ihr Tablett weg.

Anne aß nachdenklich fertig. Dann ging sie an ihren Schreibtisch zurück und sichtete die Termine dieser Woche, machte sich Notizen und Pläne. Was um sie herum vorging, bekam sie schon kaum mehr mit.

Ein oder zwei Kundentelefonate später kam ihr Kollege Bruno ins Büro und warf eine Mappe mit Schwung auf seinen Schreibtisch. Anne schaute auf. "Na, gute Idee gehabt?", fragte sie.

Bruno schnaubte, eindeutig wütend. "War grad beim Chef. Abmahnung."

Anne erschrak. "Weshalb?"

"Irgendwie ist durchgedrungen, wie ich die Herren, Pardon, Damen und Herren der mittleren Führungsebene zu benennen pflege. Und das sei geschäftsschädigend. Habt ihr Volltrottel das etwa Außenstehenden gegenüber wiederholt?"

Den letzten Satz hatte er laut gesagt, und nun schaute er sich stirnrunzelnd im Raum um. Die beiden anderen Kollegen schauten ihn erstaunt an und schüttelten übereinstimmend die Köpfe.

Anne schaute vom einen zum anderen. Zutrauen wollte sie es niemandem.

"Und wenn ich mir noch etwas Ungebührliches herausnehmen sollte", fuhr Bruno fort, "dann, hat der Chef gesagt, dann ... hm. Er hat wörtlich gesagt: 'Zum Beispiel den Aufstand zu proben'! Was für ein Blödsinn."

Den Aufstand. Anne erinnerte sich an ihr Gespräch in der Kantine.

"Entschuldigung", stammelte sie und verließ das gemeinsame Büro. Draußen zog sie ihr Smartphone heraus und wählte Danis Büronummer.

"Dani, du, ach, entschuldige ... hast du etwa ...? Ach nein, du doch nicht. Meinst du, jemand hat uns belauscht heute Mittag?"

Dani lachte. "Nein, glaube ich nicht. Wieso?"

"Na ja, weil der Bruno ...", Anne hielt inne. Nicht schon wieder unbedacht etwas ausplaudern, sagte ein Stimmchen in ihrem Kopf. Da hörte sie schon Dani sprechen: "Du weißt ja: Nur die Besten können wir brauchen. Schau, dass du dazu gehörst."

Anne hörte, wie Dani auflegte. Schweigend steckte sie ihr Telefon ein und ging zurück an ihren Schreibtisch, um den nächsten Kunden anzurufen.



© Brigitte Hutt April 2019

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