Schneller-höher-weiter oder Dabeisein ist alles?
Nein, ich will nicht über Sport schreiben. Höchstens über den vielgeliebten Sport der Menschen, der da ist, sich in einen allgegenwärtigen Wettstreit zu begeben, bei jeder Gelegenheit über jemanden zu siegen, immer besser zu sein, oder zumindest, es besser zu wissen.
Machen Sie die Probe: Erzählen Sie, wem auch immer, Sie hätten eine ausnehmend schöne Reise gemacht, sagen wir, in ein Land namens Wieheißtesgleich. Der erste wird zurückfragen: "Wie lange?" Und auf Ihre Antwort erwidern: "Ach, nur? Aber für Wieheißtesgleich braucht man mindestens eine Woche mehr. Mindestens." Der zweite wird zurückfragen: "Und haben Sie auch Wunderstadt gesehen? Nein? Aber dann fehlt Ihnen das Wichtigste."
Selbstredend war Gesprächspartner 1 länger dort als Sie und Gesprächspartner 2 auch in Wunderstadt - im Übrigen wird er in jedem Fall einen Ort finden, den Sie nicht gesehen haben und der der Wichtigste ist. Versuchen Sie in einem solchen Gespräch übrigens nie, mit gleicher Waffe zurückzuschlagen, also selbst das Wichtigste Ihrer Reise dort zu definieren, wo der jeweils andere noch nie war. Er wird es mit einer wissenden, besser wissenden Handbewegung abtun.
Die einzige Möglichkeit, diesem ungleichen Kampf zu entgehen, ist, ihn nicht zu eröffnen. Genau das haben Sie nämlich mit der Erzählung von Ihrer Reise getan. Seien Sie stets nur Antworter, genießen Sie Ihr Wissen um das bereiste Land, ohne es herauszustellen, bleiben Sie zurückhaltend, denken Sie daran, dass das "Dabeisein" zählt, nicht das Erzählen und schon gar nicht das Besserwissen. Und wenn dann bei anderer Gelegenheit ein Gesprächspartner ungeschickterweise den Erzählwettkampf eröffnet, dann - ja, dann können einmal Sie zurückschlagen! Können, müssen Sie aber nicht.
Übrigens, für die Verfechter des Gendering: Jedes "er" hier kann ohne Abstriche durch "sie" ersetzt werden.
© Brigitte Hutt August 2017