Dieser Moment
Neulich, im Theater. Ein mitreißendes Stück, Vollblutschauspieler, die über die Bühne springen, tanzen, turnen. Aus der fünften Reihe gesehen war jeder Schweißtropfen, jedes Speichelfünkchen ganz nah, man war beinahe mittendrin.
Und dann, am Ende, als sie alle zum Verbeugen nach vorn kamen, dieser Moment: Die Darsteller, halbwegs wieder sie selbst, doch noch nicht ganz wieder aufgetaucht aus der Rolle, hatten in den weit aufgerissenen Augen ein Sprühen, einen Glanz, in dem das ganze Spiel noch einmal auflebte. Ein wenig war es wie bei einem Kind, das aus einem Traum aufwacht und noch halb darin gefangen ist. Was geht in einem Jakob vor, der zum Teil noch Mosca ist und jetzt den Beifall einatmet, den er sich zweieinhalb Stunden erspielt hat?
Schon beim zweiten Verbeugen war er weg, dieser besondere Blick. Gestrahlt haben sie noch immer, die Spielfreude war noch zu spüren, aber dieser Moment war vorbei. Doch mich lässt er nicht los. Ich frage mich seitdem: Gibt es in meinem Leben auch diese Momente, die mir einen solchen Blick verleihen? Habe ich jemals diesen Rausch erlebt, und konnte man mir das ansehen? Dabei geht es mir nicht um den Rausch, sondern um das Glücksgefühl, einen Höhepunkt erreicht zu haben, und zwar aus meiner Kraft, aus meinem Vermögen. Ein solcher Moment, deshalb nenne ich es Rausch, macht süchtig. Und wenn das, was ein Mensch da spürt, aus seiner eigenen Kraft geboren ist, so weiß dieser Mensch, dass es wiederholbar ist, es ist ein Ansporn aus sich selbst. Was für ein wunderbarer Grund weiterzumachen, womit auch immer!
© Brigitte Hutt 2020