Brigitte Hutt - IT-Beraterin und Autorin

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French Quarter, New Orleans

Theatergarderobe

Ein feines Konzert war das wieder. Beschwingt bricht die Zuschauerschar auf in Richtung Garderobe. Doch kaum haben sich dort die üblichen Schlangen gebildet, ist der Schwung, die Feierlichkeit, das Erlebnis schon wieder im Alltag verloren gegangen. Ich bin ein geduldiger Mensch, aber dieses Geschiebe ist stets eine harte Probe.

"Wie lange dauert das denn wieder! Hast du den Parkschein?"

"Dass wir auch nie bei den ersten sind! Nächstes Mal gehen wir vor dem Schlussapplaus."

"Das ist doch die Schlange für die 2000-er Nummern, das ist doch falsch!"

"Kannst du dich nicht mal da so seitlich hineinschlängeln?"

"Guckst du, manche kriegen das hin mit dem Abkürzen, guckst du!"

Die Gespräche ringsumher machen mich kribbelig. Ich wechsele unauffällig die Schlange.

Ebenso kribbelig, wenn nicht noch mehr, macht mich die kleine alte Dame, die da ganz zufällig schräg neben mir anlandet und mit jedem Schritt ein bisschen mehr versucht, vor mir in die Reihe zu kommen. Nein, meine Gute, nicht mit mir. Ich warte geduldig, denn ich weiß, dass Drängeln ohnehin nichts ändert, aber ich lasse auch keine Lücke aufkommen. Die anderen, speziell das Paar hinter mir, sind schon nervtötend. Sie gibt ihm dauernd Tipps, die alle nichts an der Situation ändern.

"Geh mal um die Säule herum, dann geht es schneller!"

Jetzt, kurzerhand durch eine Lücke geschlüpft, jetzt bin ich an der Ausgabetheke. Weder die kleine Dame von der Seite noch die von hinten haben es geschafft, mich abzudrängen. Aber halt - die da jetzt neben mir bedient werden, sind das nicht die, die eben noch …

Ich gebe meine Nummer ab und erhalte Mantel und Schirm. Mit Schwung drehe ich mich um, und mein Schirm fällt mir aus der Hand, fällt mit dem Rest meines Schwungs, fällt mit der Spitze - ganz zufällig - auf die Ferse meiner ehemaligen Nachbarin von hinten, die gerade ihren Mantel entgegennimmt. Als sie sich empört umdreht, werfe ich einen vorwurfsvollen Blick auf die kleine Dränglerin, die jetzt auch angekommen ist.

"Oh", sage ich und schaue von einer zur anderen.

Das Schirmopfer mustert mich, mustert die Dränglerin, stemmt die Hände in die Hüften und sagt: "Was sollte denn das?"

"Das", sage ich kühl zu niemandem im Besonderen, "kommt davon, wenn alle drängeln. Dann ist man vor nichts sicher."

"Wie meinen Sie denn das?", fragt die Dränglerin nervös.

"Dieser Schirm hat mich sehr schmerzhaft getroffen", antwortet die Getroffene.

"Aber das ist nicht mein Schirm!", piepst die Dränglerin noch nervöser.

"Aber ich habe genau gesehen, wie Sie versucht haben, sich vorzudrängeln, genau gesehen habe ich das!"

"Aber ... ich bin doch gar nicht ... ich meine ..."

Ein Wort gibt das andere. Der Schirm liegt, von beiden vergessen, am Boden. Ich hebe ihn schnell auf und schlüpfe an den beiden vorbei Richtung Ausgang. Noch einige Meter weit höre ich die empörten Stimmen, dann bin ich draußen. Immer diese Aufregung. Mit Geduld geht es doch auch!



© Brigitte Hutt Februar 2019

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