ToFu
Fritz war ein Organisationstalent. Er konnte alles managen, und er hatte alle Mitarbeiter - und auch die Mitarbeiterinnen - gut im Griff. Gerade hatte er wieder eine Krise in der Kundenbetreuung beigelegt und ließ sich aufatmend auf seinen Schreibtischstuhl fallen. Jetzt einen Kaffee, dachte er, da sah er den kleinen Briefumschlag am Bildschirmrand seines PCs. Neue Mail, dann erst mal lesen, also klickte er drauflos.
Von: Ines Weiss <i.weiss@firma.de>
An: f.huber@firma.de
Cc: <alle Kolleg_innen>
Betreff: WG: Gratulation
Sehr geschätzter Kollege Fritz,
nun wirst du schon 50 Jahre, und man sieht es dir nicht an! Wir alle freuen uns sehr, diesen Tag mit dir begehen zu dürfen, und laden dich gern auf einen kleinen Umtrunk in die Cafeteria ein. Sagen wir um 14 Uhr! Der ganze Belieben freut sich. Bis dahin - und für dein weiteres Leben: Alles, alles Gute!
Für Deine Kolleg*innen
Ines
Na, wie nett. Nur das "Belieben" irritierte ihn - aber darauf kam es jetzt nicht an. Schon setzte er die Maus auf das Symbol für "Antworten", da kam der Kollege Andy herein.
"Fritz, ist die Aufstellung für die Zentrale fertig?"
"Nein, noch nicht. Ich beeile mich, denn hier, schaust du? Heute Nachmittag haben wir was vor! Ach, du wirst das ja längst wissen."
Fritz stand auf und suchte die Unterlagen zur benötigten Aufstellung heraus. Andy setzte sich auf Fritz' Stuhl, las die E-Mail, scrollte ein bisschen tiefer, dann noch tiefer, fing an zu grinsen, dann, als Fritz wieder neben ihm stand, scrollte er schnell wieder an den Anfang und stand auf.
"Mensch, Andy, was grinst du denn so?"
"Ach, ich mein nur … der ‚Belieben' freut sich - sieht arg nach Tippfehler mit Autokorrektur aus."
"Ja, sie meint womöglich ‚Betrieb'. Tja, immer noch mal lesen vor dem Abschicken, meine Rede!"
Andy grinste noch breiter und verließ das Büro. Fritz holte die angefangene Aufstellung auf den Bildschirm und arbeitete sich ein.
Als er seinen Magen knurren hörte, fiel ihm die Einladung wieder ein. Jetzt hatte er die Uhrzeit vergessen. Irgendwas mit Mittag, oder? Er suchte die E-Mail wieder hervor. 14 Uhr, na ja, dann erst noch was Herzhaftes. Nanu, da stand ja noch was drunter? Er scrollte ein Stück nach unten.
Von: Ines Weiss <i.weiss@firma.de>
An: f.huber@firma.de
Cc: <alle Kolleg_innen>
Betreff: WG: Gratulation
Sehr geschätzter Kollege Fritz,
nun wirst du schon 50 Jahre, und man sieht es dir nicht an! Wir alle freuen uns sehr, diesen Tag mit dir begehen zu dürfen, und laden dich gern auf einen kleinen Umtrunk in die Cafeteria ein. Sagen wir um 14 Uhr! Der ganze Belieben freut sich. Bis dahin - und für dein weiteres Leben: Alles, alles Gute!
Für Deine Kolleg*innen
Ines
Von: Ines Weiss <i.weiss@firma.de>
An: <alle Kolleg_innen>
Betreff: AW: Gratulation
Also gut. Ich gratuliere ihm. Und lade ihn zum Umtrunk ein.
Und alle sollten fünf Euro geben. Erfordert der Anstand, man mag von F. halten, was man will ...
Ines
Fritz las den Text ein, zwei Mal und runzelte verwundert die Stirn. Was sollte das bedeuten, "von F. halten, was man will"? "F." gleich Fritz? Was hielten sie denn von ihm? Sie freuten sich doch auf den Umtrunk?
Er las die zwei E-Mail-Teile noch einmal. "ToFu", fiel ihm ein, auch das war etwas, was er gar nicht oft genug betonen konnte seinen Kollegen, und den Kolleginnen ebenfalls, gegenüber. "Text oben, full quote unten", das geht gar nicht - und die zweite E-Mail war in diesem Gesprächsverlauf ganz offensichtlich auch nicht die, mit der das angefangen hatte!
Er holte tief Luft und scrollte langsam weiter. Da hing ja eine Menge dran. Er überflog die eine oder andere Mail im Gesprächsverlauf und fühlte Schweißperlen auf seiner Stirn. Zu guter Letzt las er das Ganze noch einmal von unten nach oben.
Von: Ines Weiss <i.weiss@firma.de>
An: f.huber@firma.de
Cc: <alle Kolleg_innen>
Betreff: WG: Gratulation
Sehr geschätzter Kollege Fritz,
nun wirst du schon 50 Jahre, und man sieht es dir nicht an! Wir alle freuen uns sehr, diesen Tag mit dir begehen zu dürfen, und laden dich gern auf einen kleinen Umtrunk in die Cafeteria ein. Sagen wir um 14 Uhr! Der ganze Belieben freut sich. Bis dahin - und für dein weiteres Leben: Alles, alles Gute!
Für Deine Kolleg*innen
Ines
Von: Ines Weiss <i.weiss@firma.de>
An: <alle Kolleg_innen>
Betreff: AW: Gratulation
Also gut. Ich gratuliere ihm. Und lade ihn zum Umtrunk ein.
Und alle sollten fünf Euro geben. Erfordert der Anstand, man mag von F. halten, was man will ...
Ines
Von: Albert Hansen <a.hansen@firma.de>
An: <alle Kolleg_innen>
Betreff: AW: Gratulation
Ich gebe einen (!) Euro dazu. Und reden mag wer will. Am besten eine SIE - darauf steht er doch!
Albert.
Von: Bärbel Maurer <b.maurer@firma.de>
An: <alle Kolleg_innen>
Betreff: AW: Gratulation
Jetzt macht mal halblang. Muss einfach sein. Ich besorge die Blumen: Wer spricht ein paar Worte? Albert als Dienstältester?
Bärbel
Von: Nina Woll <n.woll@firma.de>
An: <alle Kolleg_innen>>
Betreff: AW: Gratulation
Ach neee - muss das sein? Können wir das nicht gepflegt ignorieren? Er ignoriert uns doch auch meistens!!
Nina
Von: Paul Schmidt <p.schmidt@firma.de>
An: <alle Kolleg_innen>
Betreff: AW: Gratulation
Müssen wir wohl. Aber bitte nicht ich. Nicht für diesen Schleimsch...
Paul
Von: Bärbel Maurer <b.maurer@firma.de>
An: <alle Kolleg_innen>
Betreff: Gratulation
Liebe Kolleg*innen,
sollten wir nicht langsam an den Geburtstag von Fritz denken?
Gruß
Bärbel
Zuletzt klickte er ganz langsam und bedächtig auf "Allen Antworten", überlegte einen Moment und schrieb dann:
Werte Kolleginnen und Kollegen,
für dieses erhellende Gespräch vielen Dank. Leider habe ich schon etwas anderes vor, steckt euch den Umtrunk doch
Er hielt inne und löschte den letzten Halbsatz. Dann tippte er weiter:
Werte Kolleginnen und Kollegen,
für dieses erhellende Gespräch vielen Dank. Leider habe ich schon etwas anderes vor, ich muss dringend in die Zentrale.
Und vorab schon eine wichtige Info: Für Freitag 14 Uhr ist eine Teambuilding-Maßnahme angesetzt, für alle.
Er las seinen Text noch einmal durch, nickte befriedigt, setzte dann "Fritz" darunter und klickte auf "Senden".
© Brigitte Hutt 2022/2024