Brigitte Hutt - IT-Beraterin und Autorin

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Fußgängerzone

Der Unterschied

Tony S. (Name von der Redaktion geändert), 24, von Arbeitslosigkeit, Wohnungslosigkeit, Einsamkeit zermürbt, ohne Familie, von der Freundin verlassen, von den Ämtern weiterverwiesen, von den Mitmenschen ignoriert oder missachtet, Tony S. bewegt sich langsam mitten in einer quirligen, umtriebigen Fußgängerzone, wie ein Stück Treibholz im Meer. Um ihn herum alles in Bewegung, mitunter wird er angestoßen, wie die Wellen das Treibholz anstoßen. Angestoßen, aber nicht wahrgenommen. Die Einsamkeit bleibt. Panik wächst in ihm. Wo ist das Leben, wo ist sein Leben? Wieso geht es allen ringsum gut, aber ihm nicht?

Tony S. steckt die Hand in die Hosentasche. Er fühlt das Messer, seinen größten Besitz. Beruhigend fest und kühl. Jemand ruft etwas dicht neben seinem Ohr. Er schrickt zusammen. Es gilt nicht ihm. Er fühlt wieder die Panik. Sie wächst und wird zur Qual. Die treibenden, nichts ahnenden Menschen. Die Einsamkeit, die Panik. Das Messer.

Vor seinen Augen flimmert es, in seinen Ohren rauscht es. Er umklammert das Messer, hält sich daran fest. Zieht es heraus, ohne sich dabei etwas zu denken. Lässt es aufschnappen.

In seinem Kopf wirbeln die Gedanken, wirbeln Fetzen. Um ihn wirbeln Menschen, die ihn treiben, aber nicht wahrnehmen. Er hält es kaum mehr aus.

Sticht zu. Sticht, sticht, sticht.

Schreie, Schreie der Qual. Die Qual in ihm. Wer schreit? Er? Die anderen? Hände greifen nach ihm, er wehrt sich, sticht.

Dann, irgendwann, ist es vorbei, und er spürt nur noch Schmerz.

Jetzt wird er beachtet, ist er wichtig. Nachrichten. Trauerbeflaggung. Beileidsbekundungen. Schlagzeilen. Tagelang. Die Menschen wollen wissen, was in ihm vorging. Jetzt wird er wahrgenommen. Wieso ist er plötzlich wichtig?

Er schweigt. Überlässt sich den abklingenden Schmerzen.

Tony S. ist farbig. Und Muslim.

© Brigitte Hutt, Juni 2021, nach dem Messerattentat in Würzburg

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