Bibel für Atheisten
"Mein ist die Rache", so lernen wir, spricht Gott, der Herr. Ein Bibelzitat mit unendlichen Anknüpfungspunkten.
Die einen legen den Wunsch nach Rache, Vergeltung, Bestrafung in die Hände des Gottes, an den sie glauben, und beschwören ihn mit Gebeten, hier seines Amtes zu walten. Doch wenn er es nicht tut, oder zumindest es den Anschein hat, er tue es nicht, er erhöre die flehentlichen Gebete nicht? Ein Fatalist, der trotzdem nicht vom Glauben abfällt, ein unendlich sanftmütiger Mensch, ein unendlich geduldiger, ja, fast unmenschlich geduldiger. Häufiger ist es, dass der Mensch, vor allem der, der besonders inbrünstig um den Richterspruch Gottes gebetet hat, seine Hingabe in das Gegenteil verkehrt. "Wie kann Gott das zulassen", hören wir dann, oder: "Wo war Gott, als es an ihm war, zu vergelten?" Wut, Verzweiflung, Hilflosigkeit - und hilflos sind wir nicht gern. In diese Wut hinein den Gedanken auch nur zuzulassen, dass es für das vermeintliche Nicht-Handeln Gottes vielleicht Gründe gibt, die sich unserem Menschenblick entziehen, fordert schon wieder unmenschliche Stärke.
Je näher uns die Tat, das Geschehene geht, für das wir Rache erflehen, umso schwieriger wird das rationale Nachdenken. Aber fordert nicht genau das der Glaube? Darauf zu vertrauen, dass Gott, unser Vater, unser Schöpfer, schon weiß, was er tut, und dass er - wer sonst - den größeren Überblick hat über das, was zu tun ist? Darauf vertrauen, dass uns nicht alles kundgetan wird, und dass das auch gut so ist? Um Trost beten statt um Rache?
Der letzte Schritt, nach Selbstaufgabe, nach Wut, ist es, vom Glauben abzufallen, zu sagen: "Dann ist das der Beweis, dass es keinen Gott gibt." Da diese Weltanschauung in den jetzigen Zeiten zumindest in unserer "westlichen" Welt ohnehin die verbreitetste ist, so ist der Schritt nur noch ein kleiner. Leider ebenfalls nur ein kleiner Schritt ist es, von dem Gedanken "es gibt keinen Gott" zu der Folgerung zu kommen: "Dann muss ich, müssen wir, die Rache eben selbst in die Hand nehmen."
Und da wird es fatal. Der Wunsch nach Frieden, nach Überwindung von Hass, Gewalt und Misstrauen ist kein genuin christlicher oder religiöser, es ist ein zutiefst menschlicher Wunsch, denn er hat damit zu tun, keine Angst haben zu wollen. Warum dann nicht die uralte biblische Aussage als uraltes Menschenwissen ansehen, das grundlegend ist für ein gelingendes Zusammenleben! Viele in den unterschiedlichsten Religionen formulierten Grundsätze sind ja nichts anderes als Weisheiten, die als Lehre weitergegeben wurden, die ein Regelwerk darstellen, das in früheren Zeiten gar nicht anders begründet werden konnte als mit Gottes Wille, weil die Menschen sich nur dem gebeugt haben. Wenn sie nun heute meinen, sie beugen sich keiner anderen Macht als der der Vernunft - dann gilt der Satz genauso: Mein ist die Rache, spricht der Herr. Und wenn es den Herrn nicht gibt oder ich nicht an ihn glaube, dann gibt es eben niemanden, der das Recht hat, Rache auszuüben. So will es diese Weisheit.
Also müssen wir andere Wege gehen, um mit Untaten fertig zu werden. Das ist ein weites Feld, ein schwieriges noch dazu, aber Rache sollten wir in diesem Sinn zum ur-menschlichen Tabu erklären. Und uns der Arbeit am Frieden widmen.
© Brigitte Hutt Januar 2019