Brigitte Hutt - IT-Beraterin und Autorin

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zweiter Weihnachtstag

Zum Feste das Beste

Sorgfältig zog er den blauen Pullover über, Tante Hildegards vorjähriges Weihnachtsgeschenk. Jetzt, Ende Januar, war es so kalt, dass er ein höchst willkommenes Kleidungsstück darstellte, und zu Tante Hildegards Geburtstagsfeier sicher ein ebenso willkommenes.

Weihnachten mit Eltern und Geschwistern war ja nett. Punsch und Plätzchen, Ratsch und Tratsch, Verwöhnen und Verwöhnt werden. Wenn nur die Geschenkeorgie nicht wäre! Alle sagten zu jedem Geschenk "Oh, wie schön, danke", aber was den einzelnen wirklich gefiel, stand auf einem anderen Blatt.

Tante Hildegard war, wie meistens, auch dabei gewesen, mit ihrer obligatorischen Päckchenbatterie, in aller Regel gefüllt mit Selbstgestricktem, wie dem Pullover im Vorjahr. Dieses Jahr allerdings hatte sie sich selbst übertroffen. Es gab für die Geschwister rote Zipfelmützen mit weißem Rand und weißem Bommel. Allerliebst, wenn man zehn Jahre alt war, aber man war in den Zwanzigern.

"Oh, wie lustig, danke!", hatte er gesagt und sich das Ding brav aufgesetzt, was noch den Vorteil hatte, dass er es nicht sehen musste. Außer auf den Köpfen seiner Schwestern, deren Lächeln ungefähr so aufgesetzt wirkte wie sein eigenes. Später, als die Schwestern zu Freunden unterwegs waren und er selbst dem Glühwein reichlich zugesprochen hatte, rutschte ihm das Ding so tief in die Stirn, dass Tante Hildegard es ihm lachend wieder zurechtsetzen durfte.

"Danke", hatte er brav gesagt, und, um der doch eigentlich lieben Tante eine Freude zu machen, hinzugefügt: "Meine Freundin wird Augen machen, die wird grün vor Neid!" Er hatte die Lacher auf seiner Seite gehabt.

Nun schlüpfte er der Kälte zuliebe in seinen orangefarbenen Anorak und war froh, dass er zu diesem die rote Zipfelmütze gar nicht aufsetzen konnte, denn Tante Hildegard war sehr farbbewusst. Bei der Radiosendertauschbörse, unvermeidlich am zweiten Feiertag, hatte er seine Weihnachtsmütze auch problemlos anbieten können und eine Schlittschuhbahnkarte dafür bekommen. Das war der ideale Tausch, denn seine Freundin hatte eine solche Karte von ihrer kleinen Schwester bekommen. So konnten sie gleich nach Neujahr zu zweit laufen.

Jetzt aber los, Tante Hildegard würde sonst nervös. Er prüfte die Verpackung des Blumenstraußes, nahm die Handschuhe - Tante Hildegards Geschenk von vor zwei Jahren - und stapfte los.

"Marco, mein lieber Marco, wie schön, dass du es einrichten konntest!" Tante Hildegard ließ sich umarmen und bewunderte die Blumen. "Warte, ich hole gleich eine Vase. Geh nur ins Wohnzimmer, deine Eltern sind auch schon da. Und ich habe sogar noch eine Überraschung für dich."

Er ging ins Wohnzimmer, begrüßte Eltern, Onkel, Vetter und machte Smalltalk. Dann kam Tante Hildegard zurück, platzierte strahlend seinen Blumenstrauß auf der Fensterbank und drückte ihm ein flaches Päckchen in die Hand.

"Für mich?", fragte er überrascht. "Aber ich habe doch nicht Geburtstag!"

"Nein. Das ist eher, na, weil du das doch erwähnt hast."

Er starrte verwundert auf das Päckchen.

"Schau nur hinein, kannst dich schon mal freuen! Und dann bringst du deine Freundin auch mal mit, ja?"

Er zupfte das Einwickelpapier an einer Ecke vorsichtig auf. Feine rote Wolle kam zum Vorschein, versehen mit einem Streifchen Weiß. Ihm schwante ein Unglück, und er tastete, bis er eindeutig etwas Dickeres, Rundes fühlte. Einen Bommel. Er schluckte und blickte auf, in die Augen der alten Tante. Die nickte und lächelte, glücklich.

"Und weißt du, die musste ich gar nicht mal stricken. Mein Nachbarssohn, der Philipp, hat mir von der Radiotauschbörse erzählt, wo er seine Schlittschuhbahnkarte loswerden wollte, weil er doch eine Dauerkarte hat. Der Philipp war da gerade bei mir, am zweiten Feiertag. Er hilft mir doch immer ein bisschen. Na, da haben wir zusammen Radio gehört, und als da eine Zipfelmütze angeboten wurde, da hab ich gesagt, Philipp, tausch die Karte ein, ich zahl es dir. Er hat richtig Spaß daran gehabt. Und ich auch, ich wusste doch, dass du dich noch einmal freuen würdest. Und grüß deine Freundin schön von mir!"

© Brigitte Hutt Januar 2018

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